XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
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Letzte Änderung:
24.10.2006

 
 

 

 
 

 

 

Necati Mert´s Kolumne

Brigadier-Brief an Berolina


   
 
 

Seit du an der Spree Berolina fest
im Nebelschleier und hinterm dichten Dolce-Vita-Deich
nebst den Neigen und Nischen im Planetentheater
über die Eskalation der Grenzsperren gebietest
expandiert der Gottesacker im mediterranen Teich

Dann eilen deine Dragoner des Germanen-Genus
die Eselsbrücke zum Mäuse-Morgen zu retten
   vor dem Handstreich auf Gemeinplatz-Party
und auf Daseinskunst beim Kurtisanen-Genuß
spurten die Deinen ausgewogen zu Quoten-Quartetten
die Warenwarte des Privatier-Kometen zu warten
   in Gegengestaden der Partisanen-Partie
   beim Höhenflug über dem Krauter-Garten

Aus der Geschichte gerufen scharen
sich deine Ulanen in Kasernen des Front-Extras
   vor der Windsbraut der Barbaren
verheißen Graswurzelkomplotte aus Habsucht
und säen Hybriden-Haß
auf Planetär-Plenen der Pleitiers und Parias
strecken ihre geschwind geschliffenen Lanzen
   weit bis hin zur Brodel-Bucht der Flucht
   an Euro-Reichs Außengrenzen

An der Spree-Spitze spekulieren deine Dramen-Dichter
mit der Mutation durch Mulatten-Detonation
und der Renaissance des Römischen Reichs
         Deutscher Nation
tüfteln Laien-Leid in der Leitkultur-Arena
aus mehrerlei Sketchen Höllenkrach
   wenn nicht auf einmal tausend-
   wenigsten aber hundertfach

Im www-Varia haben deine Possen-Posamentiers
und sonst fliegende Kurzwarenhändler nur
zu verkaufen was sie allfeil haben –
      ultra posse nemo obligatur
Libertiner-Lyrik und Jägerlatein
   aus deinem Luftschloß-Schrein

Im Netzwerk deiner Nestoren steigen
stetig Marketender-Aktien und du läßt
jedem Gegengegröle die alte Leier geigen
dann allerlei Altertümer umsetzen
selbst die virulente Rentabilität
      in die virtuelle Realität
und dann die Großgeschichten der Humanität
als Gedankensplitter der Exekutions-Ästhetik

Bärbeißig deinem Bergsattel Berolina
ziehen Zeloten der Zivilisation ins Gefecht
zitieren das Zitadellen-Recht
auf Steppenspaß seit etwa zehntausend Jahren
nachdem himmelauf die Herrschaft entstand
und sie hierfür in Habschaft die Götter erfand
   und warmen Tauschwert der Waren

Immer wenn auf dem Mons vaticanus
professoral der Pontifex maximus
spricht über Universitas scientiarum stetig
macht er verstiegen universitätstätig
den Herren der himmlischen Heerscharen
zum Teilhaber des hart errungenen Ehrbaren

Immer wenn der oberste Hirte
stahlhart auf heiligem Stuhl
   seine Herde zum Zeugnis zitiert
   und stämmig das Artefakt Marias
      als Wunder-Varia rezitiert
      dünkt auf dem Titanen-Turm
dem Morgen die Dunkelfelder seines Habitus
beschworen der nächste Schlachtsturm

Nebenan im Imperatoren-Gottesacker
   und seiner Kamikaze-Hijacker
beruft sich Gelehrten-Geleit auf Revanche
und die Rekruten in der Rivalen-Revue
spannen im Krokodilenchor das Prokrustesbett
auf dem Ground Zero der Twintower
und im Kröten-Kosmos der Wallstreet
artikulieren sie gottgleich genial
genauso rabiat die Attacke auf jenes Ideal
das im Kommentaren-Konvoi des Kommunismus
als Epos erklingt und als Eloge auf Utopia
mit der Maxime "Omnia sunt communia"

Feuer fängst du Berolina
unter Dramen-Druck und Tyrannen-Teppich
bestickt aus Tränen von Zäunen und Stränden
   im feste-okzidentalen Himmelsstrich
   wo Elendsemigranten in Scharen enden
wenn sie nolens volens nordwestwärts nomadisieren
auf Träumer-Touren mit bloßen Händen
und dem Manifest des Überlebens testen
   die Stachelmauern zu trennen
   und Grenzwälle zu überrennen

Wachteln vom Kaukasus unterbrechen Reisen
kreischen über Ruinen der merkantilen Malaise
über deren Arial der Melodramen
die Aasgeier der archaischen Arier kreisen

Es ist gegenwärtig Berolina
   zweifelsfrei die Zwischenzeit
wenn Theo-Sophia der Technokratie
im zyklischen Zwergen-Streit
die Barden der Bären-Bravour befehligt
den Brigantensturm der Demokratie
auf Barbaren-Barke am Urbanen-Ufer

Als du von Fernweh nach Fruchtregen
gerissen ans Werk gingst Berolina
   dich bergauf zu bewegen
im Graniten-Glanz deines Deiches
und Granaten-Garant deines Reiches
geschickt hinter der Silhouette der Sirenen-Schlote
im sansculottengerecht sanktionierten Versteck
saßen die Meinen im Café Viereck
gingen immerfort durch Feuer und Flut
hindurch in noch faltenfreien Jahren
haben dann den Verrat in Bruder-Blut
      und Niedertracht erfahren

Als deine "Schutzstaffel"-Schergen
starkherzig wie starr sich zur Schau stellen ließen
mit Ballerina-Tracht in Braun
hängten die Meinen am Morgengrauen
   vor rabenschwarzen Mauerrissen

Jetzt weißt du alimentär
wie deine Rudimentär-Rivalen
beim Ellbogen-Event im ewig Elementaren
   in Elendstrichtern vegetieren
und die Berber deiner Kapitale in Scharen
unter Brücken hinterm Zoo picknicken
wobei die Erwerbslosen auf Bambule blicken

Als diejenigen Deinen Berolina
im ungefähr fünfzehnten Jahrhundert
   mit Standpauke und Schwert
   und bibel-belesenem Späher-Riecher
den Thüringer Wald erreichten
und die Fürsten-Standarte-Kriecher
Thomas Müntzers abgeschlagenen Schädel
blutgetränkt auf die Stange spießten
da er aufrief standhaft beim Morgennebel
      alle Magd und Knecht
zum allerersten echten Menschenrecht
auf "alles ist allen – alles ist gemeinsam"
stolzierten die Meinen schwellend schwer
an der Ägäis der Banderole hinterher
   während sie aus dem Verswerk
   Scheich Bedreddins die Zeilen
   "alles im Tun und Verteilen
      gemeinschaftlich" sangen
      "Außer der Geliebten Wangen"

Als die Meinen meisterlich marschierten
mannigfach unter dem Wahlspruch
      "Alle Macht den Räten"
begingst du Berolina Hals über Kopf
   aus Furcht vor Methusalems Fluch
die Flucht auf Mons Vaticanus
hast fiktiv vor Summus Episcopus
   Divina Commedia gespielt
Als du von Schwermut getrieben
entlang den nachträglichen Tribunal-Tagen
die Route zum Regenbogen geschlagen
hast im Tyrannen-Trabant inständig sehr
am Feuerhagel einen Affen gefressen
   ob über Land oder Meer
dich mit dem Todesengel kurzgeschlossen
hast geendet wiederholt in den Gossen
in fliegender Hast alles abgeworfen
furios den Mythos der Humanitas
   den burschikosen Husaren-Barritus
   selbst den Burlesken-Ballast
   und den wuchtigen Barrikaden-Palast
In der Wallahalla der Alienationen hast
du wieder deine Domänen-Demokratie dekoriert
dann deine Dämonen-Doktrin kuriert

Bald hier Berolina bald dort
gedulde dich eiförmig im Ellbogen-Eifer
im Hades oder Eldorado der Homunkulus-Trauer
bleibe dem Helios des Herolds fort
mondial dämmert die Epoche der Brückenbauer
Anmarschiert kommen dann
die Sonnensong-Schreiber im Zusammenhalt
souverän in Kosmopolitania an
   hinterm Spartakus-Hymnus heiter
   und Dulzineas Don Quijotes weiter
in Myriaden aus Vorstädten und Gettos
versorgen mit millennarem Mulatten-Ethos
   oder dem Verdruß des Desperados
   die vertraut Versammelten allerorts
besteigen den mondänen Meridian unterwegs
zum humanen Herzen des Europiden-Forts


   

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