XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
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Letzte Änderung:
03.06.2006

 
 

 

 
 

 

 

Necati Mert´s Kolumne

Demokraturen-Tour


   
 
 

„Raucher sterben früher!“ lautet eine von EG- Gesundheitsministern diktierte Sophistik auf Zigarettenschachteln. Aber sie kurieren die staatlichen Finanzkassen, müßte da weiter stehen. Verraten fühlen sich die Politokraten von jenen Patrioten, die tatsächlich aufhörten zu rauchen, oder begannen, ihre Sargnägel eigenhändig zu drehen. Auf Mäuse-Jagd-Runden miauen die Revier markierenden Marketender zum Gotterbarmen, reklamieren Rentabilität durch Fronarbeit. Die Regenten-Regie weist den Urnengang an. Das Publikum wird animiert, sich dem Politikum der Plutokratie anzuschließen.

Mit den ersten Lauten der Warmluftglocken ist die Kapitale des Kapitalismus an der Spree zum zeitweilig launigen Zentrum des Theatrums mundi im glorifizierten Globalvillage mutiert.

Die frustrierten Fraktionsfabulanten formieren sich aufs Neue, um in den obligatorisch orakelten Foren ihre Rivalen zu fingieren und den Gottseibeiuns des Krisenkosmos zu überflügeln. Aus den aufgewühlten Reihen des wahlverdrossenen Publikums ergreift der Herold das Wort, deutet die Signale:

Werkzeugkästen des demokratisch hegemonialen Zauber-Handwerks öffnen sich unterm lahmen Wolkenhimmel. Das Licht des lebhaften Humanen landete längst auf dem Trauergesicht der Rudimentären.

Parlamente fungieren als Amphitheater der Börse, Fraktionen als deren Filialen mit dem Werbeauftrag, für das Recht auf Eigentum in die Bresche zu springen, auch wenn es auf diversem Diebstahl fundiert.

Der Demokratismus begünstigt die Heuchler des Heuschrecken-Humors auf dem Schleichweg, um nicht Abschied zu nehmen von der Geschichte des ökonomisch ordinierten, ökologisch ornamentierten Grauens.

Ins demagogische Arsenal greifen die Status quo-Rhetoren, um das durch enteignende Diktate vergrämte Stimmvieh wieder hinter sich zu scharen, den Rebellen des natürlichen wie kumulierten Gemeingutes mit einem blumigen Getöse den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Staats- und Verbandsfunktionäre, Parlamentarier, Manager, Künstler zelebrieren die Zerbrechlichkeit des Menschlichen zwischen einem neomerkantilistischen Wolkenkuckucksheim und den Jammerbuden am Seitenrand.

Mit den Entertainment-Events als inszeniertes Politikum werden die Zukunftsprojekte des Kapitalismus komplettiert. Darin sollen kaum noch Menschen vorkommen, die frei sind von dem ökonomisierten Omen auf der Suche nach Glück und Glut.

Die Manipulation des gefahrlosen Daseins ist die Institution. Dystopie statt Utopie lautet die Message des marktmentalen Messias. Dysplasien sträuben sich gegen jeglichen Blütentraum vom Regenbogenbaum im Morgenboden.

Zu Gericht sitzen die Privatier-Partisanen gegen die Freiheit, den Mammon zu boykottieren, den Konsum-Konsens der Kurtisanen zu kontern, den Konsorten-Konvoi der Konvertiten zu kritisieren.

Die Arbeit gilt als Geißel, die die Enteigneten peitscht, Wert für Aneigner zu schöpfen. Gedemütigt wird der Lohnarbeiter, indem er gezwungen wird, sich als Klinkenputzer karikieren zu lassen und das hohe Lied auf die „Freiheit des Individuums“ mitzusummen.

Die Mär lebt fort, die maroden Momente des Marktes mit den Mittel der aufklärerischen Autarkie ins rechte Licht rücken zu können. Da läuft jeder arische Aristokrat als Poet des Jägerlateins mit einem Schmetterlingsnetz durchs Land, um bunte Falter einzufangen. Es gibt keinen einzigen mehr, der behaupten kann, einen Teil seines Lebens gegen die Herrscherriege der Hunnen gestemmt zu haben.

Freiheit und Fortuna bieten die Heute-Hunnen und Hautevolee-Husaren feil. Auf der Agora handeln sie mit der Ware Arbeit, lassen die reale Mehrheiten trivial mit der Angaria hantieren. Vergeblich suchen die Gescheiterten den Weg westwärts zum Zentrum der Eurotopia.

Akteure und Apologeten des starken Staates verschlagener sozialer Systeme befleißigen sich, im deregulierenden Delirium der Wahlverdrossenheit der Minderbemittelten in den Weg zu treten.

Die Masse der Marginalisierten expandiert, das Gefahrengewicht der Treibhausgase auch. In die gleiche Falle der Potentaten-Patronage schlingen die Ökopaxen-Patrizier wie die Dialektik-Dilettanten der Sozialdemokratur, begeistern sich für das Dogma gemäß dem Kampf ums Dasein: Wer fähig ist, sich den veränderten Verhältnissen anzupassen, überlebt. Was sich auf der Ebene der Verhältnisse zwischen Haben und Sein seit dem in Umlauf gesetzten Zehnten der zehn Gebote geändert hat, verdeutschen sie nicht. Der Lärm, den sie stets verstärken, betäubt den Verstand.

Damit diese neodarwinistische Lehre auch in der Praxis funktioniert, intervenieren die neomalthusianischen Matadore in der Metaphern-Arena aus der merkantilen Mottenkiste.

Münchhausen-Meister gewinnen alle Wahlen, nivellieren die Novellen so nobel, daß jeder Blütentraum der Besitzlosen im blutbefleckten Grauen endet.

Immanent ist dem Demokraten keine korrekt kritische Bastelarbeit im konstitutiven Kontrast zur Fabrikation systemkonformer Konturen in Foren, Panels, Seminaren, Workshops, Happy-End-Events, Harlekinaden-Happenings der Anti-Globo-Gettos...

Anhand der seminaristischen Handhabe des Themas „Zukunft“ naturalisieren die kulturellen Identitäten in der Eurotopia zwischen Lombardei und Hebriden.

Der Miseren-Emissär setzt seinen Höhenflug auf den Fährten der Moderne fort, verspricht den völkischen Sippschaften heil, manifestiert das herkulische Hochgefühl von Mythen und Mysterien aus dem auf grün-grauem Grundstück gegründeten Gedankengebäude.

Esoterik begünstigt den Kapitalismus, einen gottgefälligen Charakter anzunehmen, auch wenn er sich dem Nirwana nähert und ein Fabelwesen nährt, das den Planeten hinterher schleppt.

Die Rivalitätsrituale des Künstlichen werden in der Gladiatorenarena der Neu-Gierigen ausgetragen. Hier gesellen sich die Apostel Adam Smiths, des Hof- und Hohepriesters der Laissez passer-Kirche, zum Championat des Jägerlateins. Hier sind alle Klageweiber gleich kläglich, jedes einzelne erscheint als Abziehbild des anderen.

Als Flickschuster ins Gewicht fallen jene Parlamentarier, welche gesellschaftliche Tortenstücke nach alten Regeln immer neu zu schneiden wissen. Die Journaillen-Junta stochert im Gerüchtenebel des Esoterischen herum und ruft die Janitscharen-Zustände auf den Plan, die sie flagrant manipuliert.

Die Wahlwortschlacht-Olympiade findet in der Arena der Duellanten und Dilettanten statt. Da überheben sich die Mentoren der Münchhausen-Montage. Darunter weitet sich das Quantum des ebenerdigen Kleinbürgertums aus, hinterwäldlerisch und heimtückisch wie ihre Oberkaste. Und die Presure Groups der westlich medialen Eleganz suchen den gangbaren Weg, an die Schalthebel der Gewalt zu gelangen.

Im kollektiven Lachkrampf begibt sich das Eliten-Publikum zum Stammtisch der Leisetreter. Mit High-Tech-Werkzeug und Schmollmündern ziehen seine Zunftgesellen in den Hohlweg zum Himmelszelt, warten auf das Nahen der Mitte, beten für die Nähe der List im Flachland.

Politikaster haben das Komplexe zu elementarisieren und reden - im Gegensatz zur theatralischen Kurzweil - zum Schwatzbuden-Fenster hinaus. Die Zukunft, die ihre Gilde vertritt, ist jedoch der Spiegel der Gesellschaft, die sie bestellt. Da landläufig der Gedanke besteht, daß der Tagesschimmer vom Abendland herkommt, schweben die Zöglinge der merkantilen Seminare in einer Sphäre der zensierten Zwischensprüche, die man in standardisierter Vielfalt kundtut.

Den Gott haben sie vom Himmel geholt und in die Tasche gesteckt. In Form von Eigentumsurkunden oder Banknoten. Grenzenlos ist daher die Freiheit, den monotheistischen Trug als Universal-Tugend zu verkaufen. Die eingeschärfte Libertinage der Besitzlosen besteht darin, sich auf dem Sklavenmarkt anzubieten.

Das Imperium democraticum enthält sich des offenen Cyberterrorismus. Der monekratische Kumpan grölt täglich am Monitor. Oft aus nichtigstem Anlass heraus. Damit die Drohkulisse im Takt bleibt. Auf den Straßen des „globalen Dorfes“ spielt sich minütlich ein Gangsterstück ab.

Mit der Globalismus-Glocke im Dauerbetrieb macht das ökonomische Räderwerk das Erdenrund immer gleicher und glatter, die Ungleichheit immer größer und grober.

Im krampfhaften Versuch, den Armageddon dem Kulturkreis der Armen zuzuschreiben, ergibt sich die globale Intelligentsia auch der Linkenlust.

   

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