XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
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Letzte Änderung:
03.06.2006

 
 

 

 
 

 

 

Necati Mert´s Kolumne

NGO-Handwerkelei
Kombinierte Kapriolen auf dem nichtregierungsorganisierten Drahtseilakt

   
 
 

Was haben die Burgherren der hoch begüterten Zentren damit zu tun, wenn die Ziffer derer, die jedes Jahr direkt oder indirekt an Hunger enden, weit über die 36 Millionen-Grenze hinaufklettern? Sie gehen gemäß einem Szenarium ihrer Rolle nach und unterwerfen sich den von ihnen hoch geschaukelten gesetzten Marktgesetzen, subventionieren Großgrundbesitzer und ruinieren Kleinbauern. Aus ihrer historischen Mission, den betuchten Zivilisationsturm vor dem übermütigen Sturm der kosmopolitischen Wandererwellen zu beschirmen, wollen sie nicht als Nestflüchter entschlüpfen.

Der Puritanismus, die Apologie der Sittenstrenge, ist noch heute das ideologische Schwert der nordischen Übermenschen. Panische Abschottung gegen die Beraubten und Wanderproleten, die sie herausfordern, steht auf ihrem Transparent.

Ihre Säbelgerassel provoziert Moralmomente in manch bedrückenden Szenen und verursacht dilettierte Reaktionen auf die Verrohungen der prostituierten Fortschrittsfurie. Auf das als Schlußlicht geprägten Gütesiegel des Novum Okzidentum: Globalismus. In einem Lager seiner Antipoden blinkt der Gedankenblitz für die Konstruktion einer Weltrepublik von unten. Eine zweite Sektion sucht im Althergebrachten nach einem Weg: Souveränismus.

Diese Renaissance des sozial stolzierenden Nationalstaates mäkelt um den Terror des unbändigen Kapitalismus herum, vermeidet jedoch, ihm den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Sie weicht vor allem vor dem Aufkommen der Gegenmacht jener Subjekte zurück, die auf dem sozialen Klassement die Besitzlosen zusammenscharrt und danach trachtet, dem globalisierten Totalitarismus das Standbein abzusägen, nämlich den Markt. Hingegen brechen die patriotisch gesinnten, marktbehafteten Eliten unguten Gewissens, die ihre Felle davon schwimmen sehen, zum Besuch der widerständischen Sozialforen auf und erheben dort den Anspruch, sich in die erste Reihe zu bugsieren - als Stars der Manege.

Was sich im Amphitheater hinter dem Torschild der Für- und Wider-Globalisierung abspielt, kommt einer Maskeradenparty der Rollenparteien gleich, vor allem im buntscheckig zusammengewürfelten Anti-Pol, der sich als Bewegung ohne zielstrebige Anregung aufführt. Ihre Akteure streifen um den Streitgarten herum, den die aus dem Pool der Geldhäuser gepäppelten Missionare der reparablen Feudalaristokratie bestellen. Gewiß verdienen die moralbepackten Opponenten der merkantilen Kreuzzüge den Vorwurf der bereitwilligen Kollaboration nicht. Tatsächlich aber scharren sich um den schaffigen Schalk, der sich aufspielt, den Globus wieder entdeckt zu haben - natürlich per Mausklick.

So sind sie bereits aus dem Häuschen geraten, seit sie den Nießnutz aus dem komminikationstechnischen Fortschritt aufspürten und sich von ihm ins Netz locken ließen. Mit dem Geschrei „panta rhei“ rufen sie Netzwerke ins Leben jenseits des Realen, streifen herum, strolchen umher. In der Nische der ethno- und egozentrischen Sentiments blicken sie auf jegliche Grundgedanken der sozialistischen Revolution hinab. Verdummt vor dem visuellen Reiz des virtuellen Lifestyles verlieren sie aus dem Gedächtnis, daß im ideologischen wie pragmatischen Lehrgebäude des monopolkapitalistischen Globalisierungskommandos gar kein Wandel abgelaufen ist. Sämtliche Neuheiten der elektronischen Revolution bleiben nach wie vor dienlich für das Hochtreiben der Mehrwertskurve und Ausbreiten des Eigentumsarsenals. Gleichgeblieben sind aber auch die Furcht- und Elendsszenarien der präpotenten Jetztcäsaren vor der Rebellion der Enteigneten sowie dem Marsch der Globalproleten auf die Bastei der Wohlgenährten.

Altes Podest mit frischer Politur

Noch nicht abgeschlossen sind die Kreuzzüge, und noch lange nicht die kolonial expansiven Überfälle. Grell ins Gesicht geschrieben stehen dem gnadiösen Wettlauf der Beutegutjäger die Kainsmale ihrer Vorfahren. Ausgemachte Lügen werden auf den Tummelplatz der Lügen gestellt, um zwischen besitzlosen Erdenbürgern und Besitzherren präkere Balancen zu wahren.

Seit Frantz Fanon, dem Theoretiker der bewaffneten Erhebung der Kolonisierten, weiß der weiße Kulturalist etwas mehr über die Rolle ihrer Werte. Er erwartet von den geläuterten Wilden, daß sie endlich in die gleichen Tretmühlen gelangen. Dort liegt sein Bombast der „Armutsbekämpfung“, mit dem er das „Verzweiflungspotential“ irgendwie zu entschärfen versucht.

In jedem Winkel der Erde entstehen Zentren, die als Filialen des Zentrums fungieren. Dann gelingt es den präpotenten Brigaden der Menschenrechtsrevolution, mit hohen Phrasen und aufsässigen Versen Gummistricke zu drehen. Nicht die Präsentanten der kollektiven Gewalt, die Epauletten-Eliten, sind allein die Vollzugsorgane, nicht allein die Weltbank oder IMF, in ihren Diensten stehen die unter dem NGO-Firmenlabel schachernden Kumpanen als Büttel des Kolonialsystems mit moralischer Mörtelkelle.

Der Aufdruck „Nichtregierungsorganisation“ verhüllt eine Heerschau ohne geschichtlichen Vergleich, ein Flußbett, in das ein Ensemble merkantiler Praktiken strömt. Was diese Freiwilligen der spätkapitalistischen Wallfahrten an Gedankensplittern bisher aneinander fügten, ist ihr Auftritt als Kopfnicker der Geldmacht beim volkstümlichen Tamtam.

Es sind Menschenrechtssyndikate und Werkvertragsgilden der globalen Armenverwaltung, die sich hinter den Elitekriegern gegen Steppenräuber mit der Armbrust gegenseitig hochschaukeln. Kennengelernt haben sie inzwischen auf der Vagabundage durch das Trikont versehentlich den Zorn und das Leid der ausgepowerten Slums. Daher haben sich die Ethno-Krieger zu ihren engsten Geschäftspartnern erhoben - auf dem subeuropäischen Balkan oder in den orientalen Gebirgsketten.

Auf dem nichtregierungsorganisierten Drahtseilakt führen sich diese Akteure des humanitären Hilfsregimes gemäß dem Temporepertoire ihrer Brotherren, der Regenten des Zentrums auf. In seiner Geschwindigkeit schwirren die Emissäre der eros- und erosionsorientierten Zivilgesellschaft um den Planeten. Es gibt keine „Mitte“ zwischen den einen, die sich am Sausundbraus-Buffet den Bauch vollschlagen, und den anderen, die von weit her zuschauen müssen. Sterben können die Toten schließlich nicht noch einmal...

Trommelwirbel beim Kampfgetümmel der Globetrotter

Schauschlacht in Barcelona: Die Schmelztiegel-Revolution etabliert sich zum Politikum der medialen Autarkie. Die Attacke auf die europoide Plutokratie beginnt und endet im Zirkelschluß der Demokratie. Sie sei die Schlüsselfrage, lautet der Prätext der Protest-Platoniker in „www.attac-netzwerk.de“ zu den Debatten von Porto Alegre 2002, „wenn es darum geht, Globalisierung gerecht zu verteilen.“ Karriere macht diese Worthülse des digitalen Kapitalismus in allen Netzwerkstätten der exotischen Globetrotter und neolinken Epigonen. Mit ihrem rhetorischen Feuerwerk bei den temporären Debüts vor den Gipfelpalästen der Freibeuter-Kumpane gelingt es ihnen, einen superimperialistischen Krösus zu klonen und sich von ihm als „Bewegung“ registrieren zu lassen. Sie trüge dann zur „Demokratisierung der Welt bei, mache die „Stimmen der Armen, der Unterdrückten, der Ausgeschlossenen hörbar“.

Noch mehr können aber die Re-Aktivisten der „weltweiten Zivilgesellschaft“. Sie simulieren ein „neues Weltbürgertum“ gemäß den systemischen Symmetrien, appellieren an die demokreativen Donnerwetter-Vetter der OneWorld-Kasten, wetteifern um die eigenen Insel des Gaudiums, um „sich selbst zu feiern“.

Noch mehr haben sich die Promoter der „Bewegung“ im Provisorium aber anzustrengen. Sie müssen, um sich als zivilgesellschaftliche Gralsritter und Subunternehmer der „Globalisierung von unten“ von den zentralen Organen der supranationalen Geldhäuser akkreditieren zu lassen, nach Klassikern der Laisser-passer-Phrasen auch die Leitfaden der IT-Initiationen verdauen sowie Theorie und Praxis der Ständegesellschaft zivilisatorisch verzahnen können. Gramgebeugt müssen sie vor den Tretmühlen der Moral-Malocher paradieren. Raunen müssen sie laut, wann es immer graut.

Scharlatan gegen Schaitan auf dem Flohmarkt der NGO-Handwerkelei

Als Nabel des Globus versteht sich die nordisch bürgerliche Klasse, seit sie die weltgesellschaftliche Pyramiden-Kaste kontrolliert. Mit ihrer digitalen Revolution ernennt sie sich selbst zum Planeten-Dynastie und kommandiert über jenen Orbit, auf dem ihre Satelliten umherkreisen.

Das Zeitrad dreht sich, nicht weit ist die Abenddämmerung und in der schwarzen Wolkennacht expandiert das Leid. Der Heidenlärm jedoch, den die Architekten der neofeudalen Eine-Welt-Pyramide schlagen, richtet sich gegen einen Schaitan, den sie dann beliebig im häßlichen Porträt des Bösen erscheinen lassen. Da sie das Gute präsentieren, sind sie natürlich die Schönen und Erhabenen.

Die Maskerade hat einen konkreten Verlauf: Der nationale Souverän räumt seinen Platz als Wohlstandstreiber und Kulturförderer jenen privaten Subunternehmen, die - bezeichnet mit der Metapher NGOs - im Rahmen des "freien Spiels der Kräfte" kursierend die Selbstheilungskräfte des Marktes ankurbeln sollen. Aber als missionarische Handwerkelei haben sie einer höheren Autorität zu dienen, deren zeitnahe Postille die Menschenrechte sind.

Mit den Tauge- und Habenichtsen auf der ganzen Erdkugel, die der Markt höchsten als Ressourcenlieferanten braucht, wollen sich die Überweltherren schließlich nicht ewig einen Klotz ans Bein binden. Und mit noch so ausgedehnten Sammlungen von Brot für die Welt können sie der fortschreitenden Verelendung nicht beikommen.

Also liegt die Zukunft der Zivilisation in der Hand jener wahren Rambos und verdienstvollen Designer, die den Auftrag haben, den globalen Menschenpark wieder einzurichten. Große Aussicht auf Erfolg haben sie, wenn sie dem Ideologie-Kompaß der Menschenrechte folgen. Ihn haben die Anthropologen der nordischen Châteaus mit der Erfindung der Kulturkreise wiederhergestellt.

Unterwegs ist der Kunstmond der Civilsociety. In seinem Leitwerk sitzen Weltbank und IMF. In seinem Maschinenraum stimmen die NGO-Spießgesellen den Refrain ”Hau ruck! Holt auf!” der Merkantilen-Hymne an.

Ohne die Teilnahme der NGOs an der globalen Kooperationsgemeinschaft fehlt dieser Sonde der Treibstoff. Ohne die kulturalisierte Tartüffe-Dichtung der Menschenrechte geht ihm der Sauerstoff aus. Ohne die Korporationsgesellschaft hat er keinen Stützpunkt. Und ohne den nordatlantischen Militärpakt droht ihm jeden Augenblick der Absturz in den Orkus.

Gepäppelt werden die NGOs als ”Fünfte Kolonne” der metropolitanen ”Neuen Mitte”, als ideologische Knechtschaft des globalen Besitz- und Geldadels. Daher werden sie immer wieder renoviert. Stromlinienförmig. Hierzu Jörg Djuren in "Freitag" vom 18. Februar 2000:

Wenn ich von etablierten NGO schreibe, meine ich damit die Organisationen, die nicht aufgrund der vielfältigen Aktionen einer Basis, für die sie stehen, politische Wirksamkeit entfalten, wie der Anticastor-Widerstand, sondern die Organisationen, die in einem langen Prozess oder mit einer geschickten Pressepolitik soziales Kapital angespart haben und auf der Grundlage dieses Kapitals mit wenigen Hauptamtlichen als AnwältInnen der humanistischen oder ökologischen Interventionspraxis auftreten. Und die sich, wie das bei AnwältInnen üblich ist, dafür auch angemessen bezahlen lassen.

Viele NGO suchen inzwischen auch, schon aus finanziellen Gründen, die Zusammenarbeit mit großen Geldgebern und der Industrie, verklausuliert wird dabei der eigene Finanzbedarf als neuer Pragmatismus. Jede Anwältin, die sich auf diese Weise von der Gegenseite finanzieren ließe, würde damit gegen Recht und Gesetz verstoßen, aber für die etablierten NGO ist dies wohl auch nicht mehr die Gegenseite. Sie sind längst eins geworden mit den Interessen des Standorts Deutschland und der nachhaltigen Entwicklung des Kapitalismus. So zeigen sie sich vielleicht auch am treffendsten im Agendaprozess als Vermittlungs- und Erziehungsinstanz der Kapitalseite.

Das heißt, diese modernisierten etablierten NGO sind der Transformationsriemen für die allgemeine Etablierung des modernisierten Typus des autoritären Charakters und der dafür notwendigen Internalisierung neuer Normen in breiten Schichten der Bevölkerung. Gramsci bezeichnet die zivilgesellschaftlichen Institutionen eben als Teil der Herrschaftspraxis zur Herstellung der kulturellen Hegemonie. Diese Aufgabe, die früher die Kirche inne hatte, ist heute zum Teil an die Wissenschaft und die Medien, zum Teil auch an eben die benannten NGO übergegangen.

Im Zeitalter der Mediengesellschaft ist die Kommunikation nur ein Mittel zur Verstärkung der habsüchtig militanten Rivalität. Daher mußte sich die darauf installierte Zivilgesellschaft als Arena der Legionären entpuppen, auf deren Tribünen das Demokratie-Kabarett gespielt wird. Auch die Spießgesellen der NGOs mischen sich ein, natürlich Schlachtenbummler der ”Global action” gegen das Phantom ”Globalisierung”. In seiner ”konkret”-Kritik vom Februar 2001 entwirft Peter Decker ein Bild über ”das Gutsein der Guten”:

Zuverlässig und regelmäßig wie die offiziellen Delegierten aus aller Weltreisen zu den Tagungen von WTO, und Weltbank inzwischen Tausende ungebetener Gäste an. Sie nehmen sich vor, die Treffen der internationalen Agenturen des Weltmarkts zu stören, ja möglichst zu verhindern. Denn diese Institutionen machen sie verantwortlich für das millionenfache Elend auf der, nach dem Ende des Sozialismus, wahrhaft ”einen Welt”. Im Namen des Elends und der davon Betroffenen erhebt die Bewegung Protest und ist dabei stolz darauf, ”keine Ideologie” zu haben und keine Klärung der Auffassungen in den eigenen Reihen anzustreben. Theoretische Streits um die richtige Erklärung der angeprangerten Zustände würden die Breite der Bewegung nur schwächen, meinen ihre Protagonisten: Die Betroffenen wüßten selbst am besten, woran sie leiden und was ihre Bedürfnisse sind. Wer keine ”Ideologie” hat, sondern sich vom Elend ganz unmittelbar herausfordern und vom Rechtsbewußtsein der Betroffenen leiten läßt, folgt allerdings schon einer Logik, nur eben einer verkehrten einer echten Ideologie sozusagen. ...

Schön international demonstrieren die Globalisierungsgegner dafür, daß alle Staaten sich von neuem auf das Wohl ihres jeweiligen Volkes verpflichten, sich auf diese, ihre eigentliche Aufgabe besinnen und sich aus internationalen Verstrickungen lösen. Der Idealismus, mit dem die Bewegung sich soziale und ökologische Ziele für einen besseren Staat ausdenkt, läßt sie auch dann nicht zum Feind der wirklichen politischen Macht werden, wenn diese die höheren Aufgaben immerzu vernachlässigt. Wer gute Aufgaben für die Macht im Kopf hat, hält sie bei aller Kritik für seinen eigentlichen Ansprechpartner. Die Praxis der Bewegung ist danach.

Die Aktivisten sind zufrieden, die Guten (= die Opfer) zu sammeln, oder richtiger: dieses gar nicht existente Kollektivsubjekt in ihren Aktivitäten zu repräsentieren, und den Bösen (= den verantwortungslosen Mächtigen) ihre Verantwortungslosigkeit vorzuhalten. Deren Pflichtvergessenheit rücken sie in ein grelles Licht, indem sie lauter Dokumente des Gutseins der Guten abliefern. Auf keinen Fall wollen sie als entschlossene - in ihren Augen offenbar: verbiesterte - Systemgegner erscheinen. Warum sonst muß ein Kampf gegen die staatliche und wirtschaftliche Macht ”so global wie das Kapital sein und sehr viel kreativer”.

Sehr kreativ inszenieren sie ein Erscheinungsbild, das nicht Gegnerschaft gegen die Weltwirtschaftsordnung, sondern die eigene Verantwortlichkeit zum Ausdruck bringt. Entgegen der martialischen Ausdrucksweise zielt der Protest nicht darauf, Genossen für einen erst noch nötigen Kampf zu sammeln, sondern darauf, die ”vierte Gewalt der Demokratie” zu betören. Von PRProfis lernen die Organisatoren, ”Bilder zu produzieren, die die Presse mag”, und veranstalten mit Gags und Gigs einen Demonstrationskindergarten, der vor allem eines rüberbringt: Diese Menschen können nichts Arges im Schilde führen.

Gepäppelt werden auch die peripheren NGO-Kompagnons aus den sprudelnden Geldquellen des gutartigen Kolonialismus und in die Pflicht genommen, sich als freiwillige Leibeigene und Leibwächter in den Dienst des neoliberalen Lehnswesens zu stellen. In ”Jungle World” vom 7. Februar 2001 erzählen Doris Akrap und Boris Kanzleiter die Geschichte der Belgrader Gruppe ”Otpor”:

Otpor ist zweifellos die politisch einflussreichste Gruppierung, ihr wird eine führende Rolle beim Sturz Milosevics zugesprochen. Sie habe es geschafft, so die Einschätzung vieler, die Bevölkerung aus der politischen Apathie zu reißen. Die Gruppe, deren Markenzeichen eine geballte Faust ist, ging mit witzigen Parolen und Aktionen an die Öffentlichkeit. Das jugendlich-kämpferische Image kam an, innerhalb weniger Monate verwandelte sich die Gruppe zu einer massenhaften Jugendbewegung. Die Faust ist überall. Als Graffito an Hauswänden in der ganzen Stadt, gedruckt auf T-Shirts und Plakaten. ...

Das kämpferische Image der Gruppierung steht allerdings in krassem Gegensatz zu den politischen Inhalten, die die Otpor-Leute vertreten. In der Organisationszentrale in der Knez Michailova, der schicken Einkaufstraße im Belgrader Zentrum, sitzen Jugendliche mit Basecaps vor Computern. ...

Politik wird von ihnen zu einer Frage der ”Kompetenz” erklärt, zum neoliberalen Mainstream gebe es keine Alternative, der Job der Politik sei es, den Kapitalismus zu managen. Djindjic sei ein kompetenter Manager, weil er gute Beziehung in den Westen hat, mutmaßt Vladimir. ...

Djindjic war es nämlich, der das Label Otpor für sich vereinnahmen konnte. Gegründet wurde Otpor zunächst von einigen Linken nach den Studentenprotesten 1997. Durch geschickte Personalpolitik schaffte es Djindjic, seine Leute an die richtigen Stellen zu bringen und eine scheinbar unparteiische Organisation zu installieren. Auf die Frage, woher das Geld für die massenhafte Verbreitung ihrer Werbekampagnen kommt, lautet die Antwort: ”Von den guten Serben im Ausland!” Ob damit auch die USA- und EU-Fonds gemeint sind, aus denen Millionen Dollar an Wahlkampfgelder kamen?

Die Belgrader Linken halten die Otpor-Leute, die sich jetzt als ”Watchdogs” ausgeben, für gefährlich. Das Image der sympathischen Jugendbewegung, die den MTV-Award gewann, kaschiere eine knallharte Machtstruktur. Als Security mobilisiert Otpor Hooligans des serbisch-nationalistischen Fußballvereins Roter Stern. Aus dem Umfeld der so genannten Dizelovci, kahlgeschorener Kick-Boxer, die vorzugsweise Lederjacken und Dieseljeans tragen, rekrutierte Arkan seine Leute.

Auch die Stoßtrupps, die am 5. Oktober das Parlament in Brand setzten, stammen aus diesem Milieu.

Emanzipationskurs für Janitscharen-Aushebung

Eine besondere Formation der NGO-Scharen zeigt sich im Sektor "Zuwanderung". Ihnen wird der Auftrag übertragen, die Homogenisierung der Gesellschaft voranzutreiben und die verbal emanzipatorischen Orientierungen mit den hegemonialen Zielen des Volksstaates in Übereinstimmung zu bringen.

"Friedliches Zusammenleben" lautet die Interkulturalität als Leitspruch der NGO-Sozietät, und darin liegen auch die Hegemonialallüren der eingeborenen Mehrheit, die selbst den eingewanderten Existenzgründern soviel Selbständigkeit zugesteht, wie sie zur Wettbewerbsfähigkeit des nationalen Standorts beitragen. Selbst Bürgerrechte suchen in der Mehrheitsdemokratie erst dort ihren Wert, wo die Demographie in Engpässen steckt.

Ein ungeschriebenes Ziel der subventionierten NGO-Tätigkeit ist der Versuch, die Selbständigkeitstendenzen in den eingewanderten Bevölkerungsteilen so zu manipulieren, daß sie sich nicht als Subjekte ihrer Schicksale behaupten können. Dadurch wird das Verhältnis zwischen den Kolonisatoren und ihren Klienten bzw. Objekten aufrecht erhalten.

Insgesamt lassen die Volksvertretungsorgane den Integrationsknopf vom NGO-Druck betätigen, um dem grundgesetzlich verankerten völkischen Gebot der Nation mit Hilfe der pädagogisierenden Ästhetik ein emanzipatorisches Pathos zu verleihen. Damit werden die Konflikt-Fontänen nicht ausgetrocknet, aber wohl im Hintergarten versteckt gehalten.

   

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