Was haben die Burgherren der hoch
begüterten Zentren damit zu tun, wenn die Ziffer derer, die
jedes Jahr direkt oder indirekt an Hunger enden, weit über
die 36 Millionen-Grenze hinaufklettern? Sie gehen gemäß
einem Szenarium ihrer Rolle nach und unterwerfen sich den von ihnen
hoch geschaukelten gesetzten Marktgesetzen, subventionieren Großgrundbesitzer
und ruinieren Kleinbauern. Aus ihrer historischen Mission, den betuchten
Zivilisationsturm vor dem übermütigen Sturm der kosmopolitischen
Wandererwellen zu beschirmen, wollen sie nicht als Nestflüchter
entschlüpfen.
Der Puritanismus, die Apologie der Sittenstrenge,
ist noch heute das ideologische Schwert der nordischen Übermenschen.
Panische Abschottung gegen die Beraubten und Wanderproleten, die
sie herausfordern, steht auf ihrem Transparent.
Ihre Säbelgerassel provoziert Moralmomente in
manch bedrückenden Szenen und verursacht dilettierte Reaktionen
auf die Verrohungen der prostituierten Fortschrittsfurie. Auf das
als Schlußlicht geprägten Gütesiegel des Novum Okzidentum:
Globalismus. In einem Lager seiner Antipoden blinkt der Gedankenblitz
für die Konstruktion einer Weltrepublik von unten. Eine zweite
Sektion sucht im Althergebrachten nach einem Weg: Souveränismus.
Diese Renaissance des sozial stolzierenden Nationalstaates
mäkelt um den Terror des unbändigen Kapitalismus herum,
vermeidet jedoch, ihm den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Sie weicht
vor allem vor dem Aufkommen der Gegenmacht jener Subjekte zurück,
die auf dem sozialen Klassement die Besitzlosen zusammenscharrt
und danach trachtet, dem globalisierten Totalitarismus das Standbein
abzusägen, nämlich den Markt. Hingegen brechen die patriotisch
gesinnten, marktbehafteten Eliten unguten Gewissens, die ihre Felle
davon schwimmen sehen, zum Besuch der widerständischen Sozialforen
auf und erheben dort den Anspruch, sich in die erste Reihe zu bugsieren
- als Stars der Manege.
Was sich im Amphitheater hinter dem Torschild der
Für- und Wider-Globalisierung abspielt, kommt einer Maskeradenparty
der Rollenparteien gleich, vor allem im buntscheckig zusammengewürfelten
Anti-Pol, der sich als Bewegung ohne zielstrebige Anregung aufführt.
Ihre Akteure streifen um den Streitgarten herum, den die aus dem
Pool der Geldhäuser gepäppelten Missionare der reparablen
Feudalaristokratie bestellen. Gewiß verdienen die moralbepackten
Opponenten der merkantilen Kreuzzüge den Vorwurf der bereitwilligen
Kollaboration nicht. Tatsächlich aber scharren sich um den
schaffigen Schalk, der sich aufspielt, den Globus wieder entdeckt
zu haben - natürlich per Mausklick.
So sind sie bereits aus dem Häuschen geraten,
seit sie den Nießnutz aus dem komminikationstechnischen Fortschritt
aufspürten und sich von ihm ins Netz locken ließen. Mit
dem Geschrei „panta rhei“ rufen sie Netzwerke ins Leben
jenseits des Realen, streifen herum, strolchen umher. In der Nische
der ethno- und egozentrischen Sentiments blicken sie auf jegliche
Grundgedanken der sozialistischen Revolution hinab. Verdummt vor
dem visuellen Reiz des virtuellen Lifestyles verlieren sie aus dem
Gedächtnis, daß im ideologischen wie pragmatischen Lehrgebäude
des monopolkapitalistischen Globalisierungskommandos gar kein Wandel
abgelaufen ist. Sämtliche Neuheiten der elektronischen Revolution
bleiben nach wie vor dienlich für das Hochtreiben der Mehrwertskurve
und Ausbreiten des Eigentumsarsenals. Gleichgeblieben sind aber
auch die Furcht- und Elendsszenarien der präpotenten Jetztcäsaren
vor der Rebellion der Enteigneten sowie dem Marsch der Globalproleten
auf die Bastei der Wohlgenährten.
Altes Podest mit frischer Politur
Noch nicht abgeschlossen sind die Kreuzzüge,
und noch lange nicht die kolonial expansiven Überfälle.
Grell ins Gesicht geschrieben stehen dem gnadiösen Wettlauf
der Beutegutjäger die Kainsmale ihrer Vorfahren. Ausgemachte
Lügen werden auf den Tummelplatz der Lügen gestellt, um
zwischen besitzlosen Erdenbürgern und Besitzherren präkere
Balancen zu wahren.
Seit Frantz Fanon, dem Theoretiker der bewaffneten
Erhebung der Kolonisierten, weiß der weiße Kulturalist
etwas mehr über die Rolle ihrer Werte. Er erwartet von den
geläuterten Wilden, daß sie endlich in die gleichen Tretmühlen
gelangen. Dort liegt sein Bombast der „Armutsbekämpfung“,
mit dem er das „Verzweiflungspotential“ irgendwie zu
entschärfen versucht.
In jedem Winkel der Erde entstehen Zentren, die als
Filialen des Zentrums fungieren. Dann gelingt es den präpotenten
Brigaden der Menschenrechtsrevolution, mit hohen Phrasen und aufsässigen
Versen Gummistricke zu drehen. Nicht die Präsentanten der kollektiven
Gewalt, die Epauletten-Eliten, sind allein die Vollzugsorgane, nicht
allein die Weltbank oder IMF, in ihren Diensten stehen die unter
dem NGO-Firmenlabel schachernden Kumpanen als Büttel des Kolonialsystems
mit moralischer Mörtelkelle.
Der Aufdruck „Nichtregierungsorganisation“
verhüllt eine Heerschau ohne geschichtlichen Vergleich, ein
Flußbett, in das ein Ensemble merkantiler Praktiken strömt.
Was diese Freiwilligen der spätkapitalistischen Wallfahrten
an Gedankensplittern bisher aneinander fügten, ist ihr Auftritt
als Kopfnicker der Geldmacht beim volkstümlichen Tamtam.
Es sind Menschenrechtssyndikate und Werkvertragsgilden
der globalen Armenverwaltung, die sich hinter den Elitekriegern
gegen Steppenräuber mit der Armbrust gegenseitig hochschaukeln.
Kennengelernt haben sie inzwischen auf der Vagabundage durch das
Trikont versehentlich den Zorn und das Leid der ausgepowerten Slums.
Daher haben sich die Ethno-Krieger zu ihren engsten Geschäftspartnern
erhoben - auf dem subeuropäischen Balkan oder in den orientalen
Gebirgsketten.
Auf dem nichtregierungsorganisierten Drahtseilakt
führen sich diese Akteure des humanitären Hilfsregimes
gemäß dem Temporepertoire ihrer Brotherren, der Regenten
des Zentrums auf. In seiner Geschwindigkeit schwirren die Emissäre
der eros- und erosionsorientierten Zivilgesellschaft um den Planeten.
Es gibt keine „Mitte“ zwischen den einen, die sich am
Sausundbraus-Buffet den Bauch vollschlagen, und den anderen, die
von weit her zuschauen müssen. Sterben können die Toten
schließlich nicht noch einmal...
Trommelwirbel beim Kampfgetümmel
der Globetrotter
Schauschlacht in Barcelona: Die Schmelztiegel-Revolution
etabliert sich zum Politikum der medialen Autarkie. Die Attacke
auf die europoide Plutokratie beginnt und endet im Zirkelschluß
der Demokratie. Sie sei die Schlüsselfrage, lautet der Prätext
der Protest-Platoniker in „www.attac-netzwerk.de“ zu
den Debatten von Porto Alegre 2002, „wenn es darum geht, Globalisierung
gerecht zu verteilen.“ Karriere macht diese Worthülse
des digitalen Kapitalismus in allen Netzwerkstätten der exotischen
Globetrotter und neolinken Epigonen. Mit ihrem rhetorischen Feuerwerk
bei den temporären Debüts vor den Gipfelpalästen
der Freibeuter-Kumpane gelingt es ihnen, einen superimperialistischen
Krösus zu klonen und sich von ihm als „Bewegung“
registrieren zu lassen. Sie trüge dann zur „Demokratisierung
der Welt bei, mache die „Stimmen der Armen, der Unterdrückten,
der Ausgeschlossenen hörbar“.
Noch mehr können aber die Re-Aktivisten der „weltweiten
Zivilgesellschaft“. Sie simulieren ein „neues Weltbürgertum“
gemäß den systemischen Symmetrien, appellieren an die
demokreativen Donnerwetter-Vetter der OneWorld-Kasten, wetteifern
um die eigenen Insel des Gaudiums, um „sich selbst zu feiern“.
Noch mehr haben sich die Promoter der „Bewegung“
im Provisorium aber anzustrengen. Sie müssen, um sich als zivilgesellschaftliche
Gralsritter und Subunternehmer der „Globalisierung von unten“
von den zentralen Organen der supranationalen Geldhäuser akkreditieren
zu lassen, nach Klassikern der Laisser-passer-Phrasen auch die Leitfaden
der IT-Initiationen verdauen sowie Theorie und Praxis der Ständegesellschaft
zivilisatorisch verzahnen können. Gramgebeugt müssen sie
vor den Tretmühlen der Moral-Malocher paradieren. Raunen müssen
sie laut, wann es immer graut.
Scharlatan gegen Schaitan auf dem
Flohmarkt der NGO-Handwerkelei
Als Nabel des Globus versteht sich die nordisch bürgerliche
Klasse, seit sie die weltgesellschaftliche Pyramiden-Kaste kontrolliert.
Mit ihrer digitalen Revolution ernennt sie sich selbst zum Planeten-Dynastie
und kommandiert über jenen Orbit, auf dem ihre Satelliten umherkreisen.
Das Zeitrad dreht sich, nicht weit ist die Abenddämmerung
und in der schwarzen Wolkennacht expandiert das Leid. Der Heidenlärm
jedoch, den die Architekten der neofeudalen Eine-Welt-Pyramide schlagen,
richtet sich gegen einen Schaitan, den sie dann beliebig im häßlichen
Porträt des Bösen erscheinen lassen. Da sie das Gute präsentieren,
sind sie natürlich die Schönen und Erhabenen.
Die Maskerade hat einen konkreten Verlauf: Der nationale
Souverän räumt seinen Platz als Wohlstandstreiber und
Kulturförderer jenen privaten Subunternehmen, die - bezeichnet
mit der Metapher NGOs - im Rahmen des "freien Spiels der Kräfte"
kursierend die Selbstheilungskräfte des Marktes ankurbeln sollen.
Aber als missionarische Handwerkelei haben sie einer höheren
Autorität zu dienen, deren zeitnahe Postille die Menschenrechte
sind.
Mit den Tauge- und Habenichtsen auf der ganzen Erdkugel,
die der Markt höchsten als Ressourcenlieferanten braucht, wollen
sich die Überweltherren schließlich nicht ewig einen
Klotz ans Bein binden. Und mit noch so ausgedehnten Sammlungen von
Brot für die Welt können sie der fortschreitenden Verelendung
nicht beikommen.
Also liegt die Zukunft der Zivilisation in der Hand
jener wahren Rambos und verdienstvollen Designer, die den Auftrag
haben, den globalen Menschenpark wieder einzurichten. Große
Aussicht auf Erfolg haben sie, wenn sie dem Ideologie-Kompaß
der Menschenrechte folgen. Ihn haben die Anthropologen der nordischen
Châteaus mit der Erfindung der Kulturkreise wiederhergestellt.
Unterwegs ist der Kunstmond der Civilsociety. In seinem
Leitwerk sitzen Weltbank und IMF. In seinem Maschinenraum stimmen
die NGO-Spießgesellen den Refrain ”Hau ruck! Holt auf!”
der Merkantilen-Hymne an.
Ohne die Teilnahme der NGOs an der globalen Kooperationsgemeinschaft
fehlt dieser Sonde der Treibstoff. Ohne die kulturalisierte Tartüffe-Dichtung
der Menschenrechte geht ihm der Sauerstoff aus. Ohne die Korporationsgesellschaft
hat er keinen Stützpunkt. Und ohne den nordatlantischen Militärpakt
droht ihm jeden Augenblick der Absturz in den Orkus.
Gepäppelt werden die NGOs als ”Fünfte
Kolonne” der metropolitanen ”Neuen Mitte”, als
ideologische Knechtschaft des globalen Besitz- und Geldadels. Daher
werden sie immer wieder renoviert. Stromlinienförmig. Hierzu
Jörg Djuren in "Freitag" vom 18. Februar 2000:
Wenn ich von etablierten NGO schreibe, meine ich
damit die Organisationen, die nicht aufgrund der vielfältigen
Aktionen einer Basis, für die sie stehen, politische Wirksamkeit
entfalten, wie der Anticastor-Widerstand, sondern die Organisationen,
die in einem langen Prozess oder mit einer geschickten Pressepolitik
soziales Kapital angespart haben und auf der Grundlage dieses Kapitals
mit wenigen Hauptamtlichen als AnwältInnen der humanistischen
oder ökologischen Interventionspraxis auftreten. Und die sich,
wie das bei AnwältInnen üblich ist, dafür auch angemessen
bezahlen lassen.
Viele NGO suchen inzwischen auch, schon aus finanziellen
Gründen, die Zusammenarbeit mit großen Geldgebern und
der Industrie, verklausuliert wird dabei der eigene Finanzbedarf
als neuer Pragmatismus. Jede Anwältin, die sich auf diese Weise
von der Gegenseite finanzieren ließe, würde damit gegen
Recht und Gesetz verstoßen, aber für die etablierten
NGO ist dies wohl auch nicht mehr die Gegenseite. Sie sind längst
eins geworden mit den Interessen des Standorts Deutschland und der
nachhaltigen Entwicklung des Kapitalismus. So zeigen sie sich vielleicht
auch am treffendsten im Agendaprozess als Vermittlungs- und Erziehungsinstanz
der Kapitalseite.
Das heißt, diese modernisierten etablierten
NGO sind der Transformationsriemen für die allgemeine Etablierung
des modernisierten Typus des autoritären Charakters und der
dafür notwendigen Internalisierung neuer Normen in breiten
Schichten der Bevölkerung. Gramsci bezeichnet die zivilgesellschaftlichen
Institutionen eben als Teil der Herrschaftspraxis zur Herstellung
der kulturellen Hegemonie. Diese Aufgabe, die früher die Kirche
inne hatte, ist heute zum Teil an die Wissenschaft und die Medien,
zum Teil auch an eben die benannten NGO übergegangen.
Im Zeitalter der Mediengesellschaft
ist die Kommunikation nur ein Mittel zur Verstärkung
der habsüchtig militanten Rivalität. Daher mußte
sich die darauf installierte Zivilgesellschaft als Arena der Legionären
entpuppen, auf deren Tribünen das Demokratie-Kabarett gespielt
wird. Auch die Spießgesellen der NGOs mischen sich ein, natürlich
Schlachtenbummler der ”Global action” gegen das Phantom
”Globalisierung”. In seiner ”konkret”-Kritik
vom Februar 2001 entwirft Peter Decker ein Bild über ”das
Gutsein der Guten”:
Zuverlässig und regelmäßig wie
die offiziellen Delegierten aus aller Weltreisen zu den Tagungen
von WTO, und Weltbank inzwischen Tausende ungebetener Gäste
an. Sie nehmen sich vor, die Treffen der internationalen Agenturen
des Weltmarkts zu stören, ja möglichst zu verhindern.
Denn diese Institutionen machen sie verantwortlich für das
millionenfache Elend auf der, nach dem Ende des Sozialismus, wahrhaft
”einen Welt”. Im Namen des Elends und der davon Betroffenen
erhebt die Bewegung Protest und ist dabei stolz darauf, ”keine
Ideologie” zu haben und keine Klärung der Auffassungen
in den eigenen Reihen anzustreben. Theoretische Streits um die richtige
Erklärung der angeprangerten Zustände würden die
Breite der Bewegung nur schwächen, meinen ihre Protagonisten:
Die Betroffenen wüßten selbst am besten, woran sie leiden
und was ihre Bedürfnisse sind. Wer keine ”Ideologie”
hat, sondern sich vom Elend ganz unmittelbar herausfordern und vom
Rechtsbewußtsein der Betroffenen leiten läßt, folgt
allerdings schon einer Logik, nur eben einer verkehrten einer echten
Ideologie sozusagen. ...
Schön international demonstrieren die Globalisierungsgegner
dafür, daß alle Staaten sich von neuem auf das Wohl ihres
jeweiligen Volkes verpflichten, sich auf diese, ihre eigentliche
Aufgabe besinnen und sich aus internationalen Verstrickungen lösen.
Der Idealismus, mit dem die Bewegung sich soziale und ökologische
Ziele für einen besseren Staat ausdenkt, läßt sie
auch dann nicht zum Feind der wirklichen politischen Macht werden,
wenn diese die höheren Aufgaben immerzu vernachlässigt.
Wer gute Aufgaben für die Macht im Kopf hat, hält sie
bei aller Kritik für seinen eigentlichen Ansprechpartner. Die
Praxis der Bewegung ist danach.
Die Aktivisten sind zufrieden, die Guten (= die
Opfer) zu sammeln, oder richtiger: dieses gar nicht existente Kollektivsubjekt
in ihren Aktivitäten zu repräsentieren, und den Bösen
(= den verantwortungslosen Mächtigen) ihre Verantwortungslosigkeit
vorzuhalten. Deren Pflichtvergessenheit rücken sie in ein grelles
Licht, indem sie lauter Dokumente des Gutseins der Guten abliefern.
Auf keinen Fall wollen sie als entschlossene - in ihren Augen offenbar:
verbiesterte - Systemgegner erscheinen. Warum sonst muß ein
Kampf gegen die staatliche und wirtschaftliche Macht ”so global
wie das Kapital sein und sehr viel kreativer”.
Sehr kreativ inszenieren sie ein Erscheinungsbild,
das nicht Gegnerschaft gegen die Weltwirtschaftsordnung, sondern
die eigene Verantwortlichkeit zum Ausdruck bringt. Entgegen der
martialischen Ausdrucksweise zielt der Protest nicht darauf, Genossen
für einen erst noch nötigen Kampf zu sammeln, sondern
darauf, die ”vierte Gewalt der Demokratie” zu betören.
Von PRProfis lernen die Organisatoren, ”Bilder zu produzieren,
die die Presse mag”, und veranstalten mit Gags und Gigs einen
Demonstrationskindergarten, der vor allem eines rüberbringt:
Diese Menschen können nichts Arges im Schilde führen.
Gepäppelt werden auch die peripheren NGO-Kompagnons
aus den sprudelnden Geldquellen des gutartigen Kolonialismus und
in die Pflicht genommen, sich als freiwillige Leibeigene und Leibwächter
in den Dienst des neoliberalen Lehnswesens zu stellen. In ”Jungle
World” vom 7. Februar 2001 erzählen Doris Akrap und Boris
Kanzleiter die Geschichte der Belgrader Gruppe ”Otpor”:
Otpor ist zweifellos die politisch einflussreichste
Gruppierung, ihr wird eine führende Rolle beim Sturz Milosevics
zugesprochen. Sie habe es geschafft, so die Einschätzung vieler,
die Bevölkerung aus der politischen Apathie zu reißen.
Die Gruppe, deren Markenzeichen eine geballte Faust ist, ging mit
witzigen Parolen und Aktionen an die Öffentlichkeit. Das jugendlich-kämpferische
Image kam an, innerhalb weniger Monate verwandelte sich die Gruppe
zu einer massenhaften Jugendbewegung. Die Faust ist überall.
Als Graffito an Hauswänden in der ganzen Stadt, gedruckt auf
T-Shirts und Plakaten. ...
Das kämpferische Image der Gruppierung steht
allerdings in krassem Gegensatz zu den politischen Inhalten, die
die Otpor-Leute vertreten. In der Organisationszentrale in der Knez
Michailova, der schicken Einkaufstraße im Belgrader Zentrum,
sitzen Jugendliche mit Basecaps vor Computern. ...
Politik wird von ihnen zu einer Frage der ”Kompetenz”
erklärt, zum neoliberalen Mainstream gebe es keine Alternative,
der Job der Politik sei es, den Kapitalismus zu managen. Djindjic
sei ein kompetenter Manager, weil er gute Beziehung in den Westen
hat, mutmaßt Vladimir. ...
Djindjic war es nämlich, der das Label Otpor
für sich vereinnahmen konnte. Gegründet wurde Otpor zunächst
von einigen Linken nach den Studentenprotesten 1997. Durch geschickte
Personalpolitik schaffte es Djindjic, seine Leute an die richtigen
Stellen zu bringen und eine scheinbar unparteiische Organisation
zu installieren. Auf die Frage, woher das Geld für die massenhafte
Verbreitung ihrer Werbekampagnen kommt, lautet die Antwort: ”Von
den guten Serben im Ausland!” Ob damit auch die USA- und EU-Fonds
gemeint sind, aus denen Millionen Dollar an Wahlkampfgelder kamen?
Die Belgrader Linken halten die Otpor-Leute, die
sich jetzt als ”Watchdogs” ausgeben, für gefährlich.
Das Image der sympathischen Jugendbewegung, die den MTV-Award gewann,
kaschiere eine knallharte Machtstruktur. Als Security mobilisiert
Otpor Hooligans des serbisch-nationalistischen Fußballvereins
Roter Stern. Aus dem Umfeld der so genannten Dizelovci, kahlgeschorener
Kick-Boxer, die vorzugsweise Lederjacken und Dieseljeans tragen,
rekrutierte Arkan seine Leute.
Auch die Stoßtrupps, die am 5. Oktober das
Parlament in Brand setzten, stammen aus diesem Milieu.
Emanzipationskurs für Janitscharen-Aushebung
Eine besondere Formation der NGO-Scharen zeigt sich
im Sektor "Zuwanderung". Ihnen wird der Auftrag übertragen,
die Homogenisierung der Gesellschaft voranzutreiben und die verbal
emanzipatorischen Orientierungen mit den hegemonialen Zielen des
Volksstaates in Übereinstimmung zu bringen.
"Friedliches Zusammenleben" lautet die Interkulturalität
als Leitspruch der NGO-Sozietät, und darin liegen auch die
Hegemonialallüren der eingeborenen Mehrheit, die selbst den
eingewanderten Existenzgründern soviel Selbständigkeit
zugesteht, wie sie zur Wettbewerbsfähigkeit des nationalen
Standorts beitragen. Selbst Bürgerrechte suchen in der Mehrheitsdemokratie
erst dort ihren Wert, wo die Demographie in Engpässen steckt.
Ein ungeschriebenes Ziel der subventionierten NGO-Tätigkeit
ist der Versuch, die Selbständigkeitstendenzen in den eingewanderten
Bevölkerungsteilen so zu manipulieren, daß sie sich nicht
als Subjekte ihrer Schicksale behaupten können. Dadurch wird
das Verhältnis zwischen den Kolonisatoren und ihren Klienten
bzw. Objekten aufrecht erhalten.
Insgesamt lassen die Volksvertretungsorgane
den Integrationsknopf vom NGO-Druck betätigen, um dem grundgesetzlich
verankerten völkischen Gebot der Nation mit Hilfe der pädagogisierenden
Ästhetik ein emanzipatorisches Pathos zu verleihen. Damit werden
die Konflikt-Fontänen nicht ausgetrocknet, aber wohl im Hintergarten
versteckt gehalten.
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