Die Faszination des Fremden eignet
sich traditionell und aktuell für die gutbetuchten Schichten
auf ihren Kreuzfahrten in die Ferne als Souvenir in der Schatzschatulle
der Mordgeschichten. Eben diese Faszination kommt zu Hause an der
Scharnierstelle zwischen gestern und morgen abhanden, und die romantische
Sehnsucht nach ihr zerschellt, wenn der eingewanderte Fremdling
auf sein Mitgebrachtes pocht. Der Bodenständige der „zivilisierten
Welt“ fühlt sich auserkoren, den „Primitiven“
den Segen der Zivilisation zu erteilen. Seine Selbstaffirmation,
die auf dem messianisch-missonarisch-kolonisatorischen Impetus fußt,
hält das Eigene für endlos überlegen.
Die mentale Gutmenschen-Manier umnebelt das Gedankengebäude
im Terrain der Konflikte, überrumpelt das kollektive Areal
der Gleichheit. Der aufklärerisch improvisierte Toleranz-Torso
ähnelt dem Treibstoff einer Planierraupe, die manövriert
wird, um den Blütentraum von der Akzeptanz zeitgemäß
aufkeimender Lebenswelten platt zu walzen.
Das marktparat parodierte Konfliktfeld erwächst
tatsächlich, wenn der Import des fremden Humankapitals keine
Extraprofite mehr verspricht. In der Folge geraten die Repräsentanten
des standortnationalen Souveräns in permanente Antinomien.
Wenn sie an einem Dienstmorgen über die Misere der demographischen
Demoskopie sinieren und über den Bedarf nach importiertem Menschenmaterial,
referieren sie am nächsten Feierabend über die „Invasion“
der Überflüssigen.
Aus den kratzigen Stichworten der Deputierten und
Partizipierten stückeln die Erfüllungsgesellen der „Vierten
Gewalt“ kreisrunde Konfliktsamen zusammen und streuen sie
in den kriselnden Feldfurchen der Gesellschaft aus. Im Prolog ihres
ethnozentrischen Opus hat der unzensierte Dialog kein Gewicht. Die
migrantischen Nomaden werden auf ihren Nutzeffekt für die autochthonen
Partialinteressen reduziert, damit auf den Status marginalisierter
Monaden, isolierter Individuen.
Mit dem imaginären Fach- bzw. Lehnwort Integration
imitieren die majoritären Regentschaften des Gewaltkartells
ein unerschwingliches Gemeingut, das sie jedoch inflationär
veräußern. Über drei Jahrzehnte sind inzwischen
vergangen, seit das Wortgut im grauen Einerlei der bundesdeutschen
Gesellschaft kursiert. Trotz aller zwischengeschobenen Verbal-Varianten
interkultureller Kulissen als Kassenschlager bilanziert der Integrationsbetrieb
mehr Defizite als Dividende. Die Zahl der allochthonen Populationen
steigt. Die Ideenmanufaktur dokumentiert nur noch Gefahrenzonen.
Was ist eigentlich Integration?
Ein völkisch fabriziertes Flickwerk der Farcen-Fabulisten?
Vulgäre Worthülse für durchstrukturierte Workshops?
Ein peripheres Politikum der Politokratie am Rande des Problem-Massivs?
Ein Fossil für den Effektladen der Mediokratie? Eine Banderole
für das selektive Assimilationspaket des Fremdenkonsums? Ein
Instrumentarium, um vermeiden zu können, daß ein ethnischer
Flickenteppich in den Metropolen entsteht?
Fast acht Millionen Einwohner der Republik, davon
bis zu einer Million „Papierloser“ bzw. „Illegaler“,
vegetieren im Hinterhof der episodischen Novellen und Sondergesetze.
Das frisch gebackene Zuwanderungsgesetz erschwert ihnen den Zugang
zu einem humanitären Dasein, versetzt sie in den Zustand der
Zugvögel, erzeugt in einigen Lagern der Gutmenschenzirkel das
Gefühl, den Trauerflor anlegen zu müssen.
Vierfarbig konföderiert unter der Fabulanten-Fackel
meisterte das rot-grün & schwarz-gelb konferierte Konglomerat
das epochale Opus des trivialen Opportunismus. Seit Mitte Juni 2004
steht das kräftige Kabinettstück der kulturalistischen
Selektion, der Gesetzestext der Dreigroschen-Troika (des grauen
Bundes-Sheriffs Otto Schily, des Bavaria-Bramarbas Günter Beckstein
und des Schwarzen-Fürsten im „Kleinsten Reich der Mitte“
Peter Müller) als Kontroll-Kompaß für die Zuwanderungszyklen:
Abgesenktes Existenzminimum für Fluchtmigranten, erhöhter
Abschiebebetrieb für die bisher Geduldeten, nachträglicher
Entzug des bereits gewährten Asylrechts.
Registrieren läßt sich die neu fabulierte
Novelle seinen Zielvorgaben nach als elementarer Baustein für
den neoliberal strafenden Ständestaat.
Die geflügelte Reformkutsche der bundesrepublikanischen
Menschenrechtsersten entpuppte sich seit der öffentlichen Vorlage
dieser Novelle als Planierraupe, die alles platt walzt, was mit
den Ambitionen einer aufsteigenden Hegemonialmacht nicht übereinstimmt.
Hochbetrieb läßt sich im Sektor der selektiven
Assimilation vernehmen. Die Deportationsmaschinerie macht Dampf.
Ins Freie werden neben abgelehnten Asylanten, überführten
»Illegalen« und verurteilen »Kriminellen«
befördert: Schlepper- und Schleusergesellen, Haßprediger,
Terrorismusverdächtige, Schläferschurken... Die »Gefahrenprognose«
genügt, um dem »terroristischen Hintergrund« einen
stämmigen Fingerzeig zu versetzen.
Zugelassen werden als Zuwanderer vorwiegend nur jene
Selbständige, die mindestens eine Million im Koffer als Investkapital
mitbringen oder zehn Arbeitsplätze schaffen. Hochqualifizierte
dürfen bleiben.
Neuankömmlinge haben die Prämisse der Integrationspflicht
zu erfüllen. Sonst wird ihr Aufenthalt nicht verlängert.
Alt niedergelassenen Migranten werden Sozialleistungen gekürzt,
wenn sie an Integrationskursen nicht teilnehmen, die ihnen je nach
dem Geschmackssinn des Amtsschimmels als Pflicht auferlegt werden.
Während sich die Berliner Republik der flotten
Reform-Randale vehement weigert, die UN-Wanderarbeiter-Konvention
zu ratifizieren, haben Sanktionen Hochkonjunktur im Reich der Menschenrechtsmentoren.
Es ist der einzige Mitgliedsstaat in der Euroburg,
wo Flüchtlinge durch das Residenzpflichtgesetz kriminalisiert
und sozialer Isolation unterworfen werden – in abgelegenen
Lagern inmitten von Wäldern. Man verbietet ihnen, sich gängigen
Gesellschaftskreisen hinzu zu gesellen, ihre Anwälte zu besuchen,
ihre Ärzte, Freunde und Verwandten.
Die Integrationspflicht kommt wie ein Verbotskatalog
daher, enthält kaum perspektivische Prämissen. Sie triumphiert
so transparent wie im Kürzel: Anpassen oder Abhauen! Der nationalstaatliche
Souverän als Adressat der Regulationslektion miteinander konkurrierender
Interessengemeinschaften schaltet um auf Separation und Repression.
Wetterwendische Integrationale bauen auf den rivalisierenden
Ritus, vermeiden den Austausch. Als Treuhänder einer aufkommenden
Ständegesellschaft stellen sie sich so an, als sei alles eine
Bauernfängerei der Alien, was sich im grauen Einerlei ereignet.
Sie lassen der Aussicht keine freie Hand, aus der Fontäne des
Utopischen praktische Schlüsse zu ziehen. Vielmehr bewegt sich
der Korso der Majorität auf der Aschenbahn der kulturalistischen
Nebelzone, um die Minoritäten zu marginalisieren, indem man
sie auf dem Jahrmarkt der Problempossen thematisiert:
„Schläfer“-Scharen, kolportierende
Kopftuch-Kombattanten, präparierte „Parallelgesellschaften“,
demographische Detonationen, Kulturkreis-Kollisionen, Globalismus-Kollaps,
Community-Konturen, GreenCart-Kartonagen, Getto-Giganten, „Rußen-Mafia“,
Türken-Turbulenz, „illegale Einwanderer“ u.ä.
sind die Schlagworte im Mainstream der medialen Gilde.
Die Potentaten der metropolitanen Gesellschaft kosmopolitaner
Communities tut sich schwer mit nachhaltigem Tun und paradieren
im Zirkusrund der permanenten Parodien. Mehr als ein „Karneval
der Kulturen“ zu Pflicht-Pfingsten durch Kreuzberg oder eine
Nische für Exoten-Folklore boten sie bisher nicht. Immerhin?
Geräuschkulissen bringen die Hüften zum Schwingen, Eleven-Events
der Inter-Kultur beschleunigen den Konsum-Konvoi.
***
Die studiokratische Expertengilde experimentiert mit
einem unwegsam eurozentrischen Ausgleich zwischen spartanischen
Strukturen und byzantinischen Nebeneffekten. Dennoch werden ihre
mageren Vorschläge in den Kommissionen der Allparteien-Koalition
so gerupft und geflickt gehandhabt, daß sie am Ende wie Strohpuppen
aussehen.
Trotz der Reformnovellen unter der Globalismus-Glocke
wird die Realität einer metropolitanen Bürgerrepublik
kosmopolitaner Lebenswelten nicht wahrgenommen. Die Selbstorganisationen
leiden unter den Folgen der selektiven Assimilation und finden kaum
Zugang zu den Ressort-Tropfen der Kulturförderung. Im Gegenteil:
Sie werden hinausgefeuert, wenn sie sich den altbackenen Prämissen
des integrationalen Nationalismus anzupassen verweigern.
Den Selbstorganisationen werden im hegemonial diktierten
Szenario die Rollen jener Laien und Wetterfahnen zugewiesen, welche
die Fähigkeit haben, sich der verbalen Windhose der Reformatmosphäre
anzupassen, sich in überschlagenden Lobgesängen zu ergehen
und immer einen krummen Buckel zu machen, indem sie verkommenes
Zeug reden. Wer von der Leitlinie abweicht und einen Schwenk um
180 Grad wagt, wird zum zivilisationswidrigen Gegenspieler der integrationalen
Illustrationen erklärt.
Nur die Selbstorganisationen, deren Stützbeine
ein rechtgläubiges Weltbild aufweisen, artikulieren sich als
bärenstarke Soziusse der Globalismusglöckner und üben
drahtigen Einfluß auf die sozial minderbemittelten, kulturell
herabgewürdigten Massen.
Hingegen verkümmern die sozialdemokratisch oder
an die Grünen-Nomenklatura orientierten Verbände, verwirken
auf lange Sicht ihren existentiellen Nährboden, indem sie den
Reformallüren der Majorität hinterher jagen. Um sich generell
gegen die revolutionären Signale aufzubäumen, haben sie
sich dem neoliberalen Wahn ausgeliefert und lenken ihre Klientel
ins morgenlose Moor der „Neuen Mitte“. Der High-Tech-Kapitalismus,
von dessen Ruhm und Elend das Schicksal der eingewanderten Metöken
abhängt, diktiert ausnahmslos die Totalität der Verwertungsgesellschaft,
hat sich längst der ihm im in jahrhundertelangen Klassenkämpfen
aufgezwungenen sozialen Errungenschaften entledigt, bedarf keiner
reformistischen Alternative zum revolutionären Aufkommen, hat
vor allem den eingewanderten Unterschichten, die er als Menschenmaterial
typisiert, nichts anderes zu verheißen als Blut und Tränen.
Heiß umstritten bleibt, ob im geheiligten Raum
des Parlamentarismus etwas Konstruktiveres gezimmert werden kann
als ein Cordon sanitaire um den Tempelturm des Besitzgötzen.
Solange der Horizont der Gesellschaft vom Sozialdarwinismus umwölkt
wird, ist die parlamentarische Demokratie zu einem populistischen
Venus-Wettbewerb verkommen. Daher sind die allochthonen Lebenswelten
auf die „Parallelgesellschaften“ angewiesen. Ihnen ungebrochen
zur Entfaltung zu verhelfen, gilt als eine revolutionäre Tat.
Ohne das Unterfangen, die gegenwärtigen Verhältnisse,
welche alles einem in Geld meßbaren Nützlichkeitskalkül
unterwerfen, in Frage zu stellen, wird es keinen Ausweg geben –
vor allem für die eingewanderten Minoritäten. Also ohne
die Aufhebung der Verwertungsgesellschaft hat das populistische
Lehrgebäude keine Grenzlinie zur Apartheid.
Die freiwillig aktiven Akteure einer metropolitanen
Gesellschaft real-kosmopolitaner Gegenwart müssen auf den Krach
im Integrationsbetrieb real-utopisch reagieren, der aus der erdichteten
Fontäne emporsteigt, daß Türken-Gettos und Russen-Quartiere
die ethnisch-homogene Harmonie stören. Sie müssen den
neoliberal nivellierten Reformallüren zu Leibe zu rücken,
den Neorassismus, die Ethnisierung des Sozialen im Schwerpunkt zum
Thema haben sowie das irreguläre Malochen migrantischer Leibeigener,
das unausgesetzte Zähneklappern der „Illegalen“
und „Papierlosen“ in „Sibirien“ zwischen
dem Parterre und Souterrain der Menschenrechtsersten, ihren Hungerturm
in Form der Ausreise-, Abschiebe-, Aufenthalts-, Identifikationslager...
Die Protagonisten einer egalitären Bürgerrepublik
müssen dem Ideal des autonomen, im Denken beheimateten Individuums
folgend einen affirmativen Blick auf die Globalismus-Glocke von
unten werfen, daraus kollektivistische Schlüsse ziehen, die
eurotischen Supermacht-Ambitionen im Zombie-Zirkus anprangern, auch
die Gladiatoren-Arena der metropolitan-metapolitischen Planspiele
eines Kampagnenjournalismus – vor allem aber ihre Reportagen
über die Gettos, welche den gängigen Elogen auf missionarisch-kolonisatorische
Meriten ähneln. Jene verderbten Vertrautheiten unter den Prämissen
der integrationalen Intentionen, bei denen die Fossilien des Völkischen
überwiegen.
Sie müssen wider den Rufmord
gegen die Allochthonen-Gettos darauf beharren, daß das „Europäische
Abkommen über regionale und Minderheitensprachen“ auch
für die eingewanderten Populationen zur Geltung kommt.
Sie müssen wider die Menschenrechtsphrasen
offensiv dafür eintreten, damit die UN-Konvention „zum
Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen“
auch in Bundesdeutschland ratifiziert wird.
Sie müssen die kulturalistischen
Grundtendenzen im Integrationsbetrieb thematisieren und auf eine
kosmopolitane Bürgerrepublik zielen, deren vorhandene Fragmente
trotz aller völkischer Donnerwetter zum Schwingen gebracht
werden können.
Oktober 2004
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