XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
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Letzte Änderung:
03.06.2006

 
 

 

 
 

 

 

Necati Mert´s Kolumne

Mediterraner Teich als Gottesacker und Dritte-Welt-Geplänkel am Limes der Pax Okzidentale

   
 
 

Zur Wiederkehr der Scharlatanen-Champions im Gelehrten-Gewand

Während die endkapitalistische Restauration der Besitzstandsverhältnisse vom Kollektiven zum Privaten mit dem mattrot-plattgrünen Reform-Fiaker der Nachfolgerepublik des Deutschen Reichs auf den global Gipfel ereilt, blühen die Urheber der Gespensterjagd im Blätterwald von vorn auf. Mit einem frischgebackenen Plädoyer „Nation-Building“ („Staaten bauen“) erprobt Francis Fukuyama, der exotische Erbauer des Fiktion vom „Ende der Geschichte“ (das heißt, der Kapitalismus ist dem Kommunismus endlich los, damit dem Menschentum endgültig und ewig das Los), sich abermals exponieren. Das Abendland soll sich unter Stars and Stripes verbünden, den „Krieg gegen den Terror“ beflügeln, wie am Hindikusch die Horten der Unsicherheit auslöschen, den Sumpf der privaten Gegengewalt austrocknen - gemäß dem Plan Pentagoniens. Staaten wird er aber mit Stammenfürsten und lokalen Notabeln bauen müssen, was „viel Kraft und einen langen Atem“ verlangt, bekundet er jammervoll in einem „Die Welt“-Gespräch vom 11. September 2004. Vor allem aber müsse der „Terrorhafen Irak“ beseitigt werden.

Signale von sich läßt ein anderer Theorie-Tüftlergenie namens Samuel Huntington ausgehen, der auf einem übereilten Niveau erneut mit dem Gespenst der Primitiven experimentiert, die minderbemittelten Menschenmärsche auf den Migrationspfaden von Süd nach Nord als ein Gefahrenpotential für das metropolitane Identitätspathos zu stilisieren und abzuqualifizieren.

Bekanntlich markierte Uncle Sams Lehrgebäude von „Clash of civilization“ vor etwa einem Jahrzehn acht Kulturkreise: 1) Christliches Abendland, 2) Islam, 3) Slawisch-Orthodoxen, 4) Konfuzianismus, 5) Hindu, 6) Japan, 7) Lateinamerika und 8) Schwarz-Afrika. Jetzt orakelt er in seinem aktuellen Opus „Who are We. The Challenges to America’s National Identy“ mexikanische Migration (Latinos insgesamt) als größte innere Gefahr für den Stützbalken der nordamerikanischen anglo-protestantischen Kernidentität. Nur: Der Schutzwall der Yankee-Yuppies gegen die Invasion der Elenden steht längst, und Huntington liefert theoretisches Mörtel dazu, mit dem sich auch die Architekten des Feste-Europa emphatisch erwärmen.

Hier subsumieren die Propagandaprodukte jeglichen Sachverhalt. In den Sicherheitsetagen des Kastell-Schlösser erhöht sich die Temperatur der Migrationsdebatte. Dabei werden die elementare Fragen des Globalismus hinter vorgehaltener Hand angesprochen. Für erheblichen Wirbel sorgen die Boten von Botschaften über die Ankunft der Schleuser-Boote an den Südstränden der Trustburg. Daß sie universale Samen für Frieden, Freiheit und Brot transferieren könnten, wird nicht vermutet. Die Geschichten der Gestrandeten ruft an den Gesichtern der Patrouillen-Patrone des mediterranen Limes keinen Schmerz hervor. Doch jeden Tag sieht das Erdenrund noch beweglicher und komplizierter aus. Die Autonomie der globalen Migration beschwört einen Dritten-Welt-“Krieg“ herauf.

Nach einer AFP-Notiz vom 13. August 2004 steuerten drei Boote, die an den nordafrikanischen Küsten in See stachen, die Strände der kanarischen Ferieninsel Fuerteventura an. Eines von ihnen kenterte beim hohen Wellengang kurz vor dem Ufer. 32 Passagiere wurden von der Guardia Civil als vermißt registriert, aber nur eine Frauenleiche geborgen. Woher wußte die Küstenwache nun die Zahl der Insassen im „Illegalen“-Boot?

Für ziemliches Herzklopfen sorgten am 12. September 2004 die Agentur-Angaben über „eine der bisher größten Flüchtlingsströme“ (Spiegel.de). Drei Boote mit insgesamt 800 Passagieren konnten das sizilianische Eiland Lampeduso erreichen. Rom bestellte eilends den Botschafter Libyens ein, weil dort die Gedrängten wie oft zuvor ihre Mordgeschichte antraten - auf der Flucht vor dem Monster der Ökonomie und Ökologie. Kein weiterer Nachklang im Blätterwald. Mehr hatte das breite Publikum des Trustburg-Theaters nicht zu Ohren zu kommen. Denn es lag kein Fingerzeig auf ein gescheit zurechtgelegten Spektakel vor, kein Szenarium eines NGO-Handwerks, das ein Stück Sensation bat oder den Schmerz der Schiffbrüchigen als Alienation zum Thema hatte. Sogar die Nachricht über vier Leichen auf den Ägäis-Felsen so „in kürze“ placiert, was sie weniger Anschläge benötigte als eine Kleinanzeige. Etwas mehr Respekt ernten die Odysseen der OneWorld-Überflüssigen hingegen in jenen Stabsstuben der Zitadellen-Security, wo die Jagdpartys auf hoher See geplant werden.

In diesem Geplänkel der grundtief ungleichen Gegenparte ähnelt das Kismet der migrationsbewegten Parias dem Befinden des Teufels, der in der Not Fliegen frißt. Entweder müssen sie von den global wuchernden der Piraten der Fronarbeit (Schlepper- bzw. Schleuserbande) wie Hammelherde treiben lassen oder sich auf die Akteure jenes Husarenstücks verlassen, welche sich hinter der humanitär zurechtgemachten NGO-Maske Meriten erwerben. Diese spielen sich - fest verankert im zivilisatorisch montierten Trabanten des Privatier-Planeten - bewußt als Tacherons bzw. mondiale Reklame-Filialen des Menschenrechts- und Elendmanagements auf.

Ob sie Welthungerhilfe, Caritas, Care, Misereor, Ärzte ohne Grenzen, medico international oder analog anderweitig heißen, sie sind alle auf PR-Coups angewiesen, um fette Spenden-Mäuse einzuwerben. Daß sie dabei Episoden der Katastrophen erdichten oder deren Habitus selektiv verdrehen, wird kaum zur Kenntnis genommen, jedenfalls nicht mehr mit Staunen und Unbehagen.

Das allerletzte „Cap-Anamur“-Spektakel im Juli 2004 z.B., aufgefischte „illegale Einwanderer“ an die Stiefel-Küste zu schiffen, diente nicht einmal in Marginalien dazu, ins Licht zu bringen, was sich am dampfigen Kimm des Mittelmeeres abspielt. Vielmehr warf es noch mehr Staub darauf. Das dumpfe Ziel der Maskerade setzte sich daraus zusammen, neben dem Erwerb von extravaganten Spendengeldern die Gewissensbedürfnisse ihrer Wohltäter sowie der heimischen Media-Konsumenten zu befriedigen.

Vom Dilettantismus war im breiten Blätterwald die Rede, oder von der „Sizilianischen Farce“, wie Jürgen Elsässer in „Freitag“ vom 23. Juli 2004 seinen Kommentar überschrieb. Als ein Höhepunkt der Performance gilt, wie zwei Gentilhommes des Gutmenschen-Zirkus (Elias Bierdel und Rupert Neudeck) sich gegenseitig mit Dreck bewarfen. Jeder von ihnen wird noch versuchen, den Eindruck zu erwecken, daß ihr Einsatz im Rahmen der „humanitären Nothilfe“ von Zu-kurz-Gekommenen und Brotneidern sabotiert wird.

Die Schicksale werden nicht unbedingt produziert, sie werden vielmehr manipuliert und vermarktet. Als z.B. das deutsche Flüchtlingsschiff den Hafen von Malta verließ und in italienische Hoheitsgewässer lief, begannen die sturzbetroffenen Repräsentanten des Deutschen Reichs Berliner Republik, allen voran der grüne Jo-Jo Fischer und die rote Heidemarie Wieczorek-Zeul, den UN-Sicherheitsrat dazu zu animieren, Sanktionen bzw. Strafaktionen gegen Sudan zu resolvieren. Und der graue Groß-D-Sheriff Otto Schily verhieß sein ger-manisches Manifest, im Brachland Maghreps „Camps“ - umzäunt mit pappelhohem Maschendraht hinter Mauern wie Abschiebe-, Aufenthalts-, Identifikations- und Ausreise-Zentren zuhause - für jene „illegalen“ Globetrotter aus den globalen Horror-Slums einzurichten. Von einem höchst elterlich funkenden Gesichtskreis leitet er auch seine „humanitäre“ Banderole ab: Die Migrantenheere müßten, lautet seine Lehre, zu ihrem eigenen Schutz interniert werden, damit sie nicht mit ihren Booten und Flößen in den mediterranen Gewässern kentern.

Hinter diesem Horizont liegt der Humus des auch inländisch gemeisterten kolonialen Humanismus, der die Wilden nicht ihrem Los überlassen will - gerade wenn sie aus ihren angestammten Reservaten aufbrechen und dem Anschluß am als grenzenlos lancierten Dolche Vita unter dem Hesperus nachjagen.

Es wird schwierig bleiben, die Dritte-Welt-Dramen am Limes der Feste Okzidentale, die Tragödien der „illegalen Einwanderer“ vor Lampedusa, im Gibraltar, aber auch in der Adria und Ägäis ins Zentrum der globalen Themen zu rücken. Das verlangt eine Menge Intentionskraft und einen langen Atem, vor allem aber die Einsicht, sich aus dem Kopf zu schlagen, daß das Klinkeputzen unter der Devise „Fluchtursachen bekämpfen!“ vor dem Moralschloß der imperialen Zentren gerechte Früchte für die Enteigneten abwerfen kann. Denn der Killer-Koloß des weltsozialen Übels haftet am Lehrgebäude des Privateigentums, dessen autorisierten Souffleusen hinter der Tribüne der Urbanität und Humanität den Ton angeben. Folglich gelten die Schlagwort-Initiativen „für Bleiberecht“ vor den „Ausreisezentren“ bzw. Arrestlokalen des Deportationsbetriebes als ein brav imitiertes Bravourstück der gutmenschentümlichen bourgeoisen Dramaturgie - neben dem missionarischen Eventtourismus der NGO-Eliten, als dessen Nonplusultra sich die ethnisch-kriegerisch orakelten Miseren der trikontinentalen Lebenswelten aufschichten.

Der migrantionistische Randsturm aufs Zentrum der aufgetürmten Reichtümer und die Dritte-Welt-Dramen am Limes der Feste Okzidentale werden sich nicht unter Kontrolle bringen können: In Nostop-Flucht vor Hunger-Horror und Troupier-Terror der planetaren Privatier-Partie. Unterwegs aus den Tiefen und Breiten der brandschatzten Kontinente und im rauchgeschwängerten Gemenge, das Wallwerk der martialischen Massas und mentalen Marketender atmend zu durchqueren sowie in das Dorado im nordischen Terrain des mediterranen Teichs zu gelangen.

In verwaisten Meerbusen Maghreps stechen ihre betagte Seelenverkäufer in See und fordern die Jagd-Kreuzer der hohen glockenreinen Feste-Zitadellen-Society heraus. Sie schreiben den Epos des Morgens. Aufs Dauerdrama sind hingegen die Journal-Jüger (mediale Kuttenträger) des urozentrischen Mäuse-Tempels ausgerichtet, die das Weltganze auf den Arm nehmen, indem sie die Kommunikationswege kontrollieren, die Botschaften der aufständischen Dritte-Welt-Fluten „in kürze“ stellen und sabotieren.

Der mediterrane Teich als Gottesacker - verlieblicht, wenn nicht übergangen oder im Busen verschlossen werden die totdrückenden Tragödien der migrantischen Mitwelten am Limes der Zivilisationsbastei durch journalistisch geschulte Künstelei.

   

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