XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
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Letzte Änderung:
03.06.2006

 
 

 

 
 

 

 

Necati Mert´s Kolumne

Wie die “Schläfer” im Hinterhalt zielt auch die alliierte Kriegskampagne nicht auf offene Feldschlacht

   
 
 

Existentiell ist der Himmelsvater als essentieller Bündnisgenosse der beständigen Schlacht der freisinnig erlauchten Kastenallianz gegen die Invasion der gewalttätigen Mulatten. “Gott ist”, trällerte der Generalissimus George W. Bush, “im Kampf zwischen Terror und Gerechtigkeit nicht neutral”. Damit sind seine Bomberflotten nicht für eigene Interessen unterwegs, sondern für die allerhöchsten Werte gegen den Ausfluß des abgrundtiefen Dämonen. “Da gehört es sich nicht, dem Feind irgendeinen nachvollziehbaren Grund für sein Handeln zuzubilligen,” heißt es in der GEGENSTANDPUNKT-Analyse bei Radio Lora vom 15. Oktober 2001:

Es sind zwar Debatten aufgekommen – auch in Amerika –, in denen gefragt wurde, ob sich das terroristische Handeln nicht auch als eine Reaktion erklären lasse, nämlich als eine Reaktion auf die Wirkungen der US-Weltherrschaft, die in recht vielen Weltgegenden nun mal nicht so segensreich sind. Aber solche Debatten endeten regelmäßig im "Entsetzen" – im "Entsetzen" über eine solche Tat, die doch tatsächlich Opfer hervorgebracht hat. Bei gutem Willen könne man sich vorstellen und auch ein bisschen verstehen, wenn Marktwirtschaft und Demokratie so, wie sie von den USA an erster Stelle in der ganzen Welt vertreten und durchgesetzt werden, Unzufriedenheit erzeugen – aber wer dagegen etwas anmelden wolle, Berücksichtigung einfordere, der dürfe doch nie und nimmer zu solch einem Mittel greifen. Der stehe außerhalb der Zivilisation und verwirke sein Recht auf Gehör, der wolle einfach bloß noch Schaden anrichten, weil ein böser Dämon ihn treibe. ...

Wer die Frage stellt: Sind die "Islamisten" so "fanatisch" wegen des Islam oder interpretieren sie den Islam falsch? – der will eben keine Verurteilung der Religion. Der will auf die Trennung zwischen der Religion und den "Fanatikern" hinaus: Die "Fanatiker" gehen falsch mit einer grundsätzlich anerkennenswerten Religion um. Als seien sie berufene Ausleger des Koran, machen westliche Wissenschaftler, Journalisten und auch Politiker den Muslimen dieser Welt die Frage auf, ob sie eigentlich ihren Glauben im Sinne der freiheitlichen Gesellschaften richtig handhaben. Sie erheben also den Anspruch zu wissen, wie die Muslime mit ihrem Glauben richtig umzugehen hätten. Nur so erklärt sich die feinsinnige Unterscheidung zwischen dem Islam und seinem "-ismus". Letzterer gilt als Missbrauch des Islam und besteht darin, dass er die Prioritäten zwischen Politik und Religion auf den Kopf stellt. Wenn die Religion beansprucht, das wirkliche Leitmotiv des Erdenlebens zu sein, dann setzt sie sich gegenüber der Politik absolut und damit ins Unrecht. Genau dagegen versündigt sich der Islamismus. Die Religion hat ihren Platz als sinnstiftender Zusatz zur gemachten Politik einzunehmen, ansonsten wird sie zum "religiösen Fanatismus". ... Gläubige sollen also den Widerspruch akzeptieren, dass sie zwar an die Existenz eines absoluten Wesens glauben, das über allem stehe, dass aber in dieser Welt der Staat der Allerhöchste ist, dem die Gläubigen Gehorsam schulden, unabhängig davon, ob sein Handeln mit ihrer Auffassung von Gottgefälligkeit übereinstimmt oder nicht. Die Unterordnung unter ein höheres Wesen haben die Bürger also nur auf sich in ihrer ganzen Privatheit zu beziehen. Wenn sie dadurch Trost und einen höheren Grund für die Zumutungen, die ihnen widerfahren, und Opfer, die sie erbringen müssen, finden, dann ist der Staat schwer für die Religion. Denn die ist so genau das, was ein gewisser Karl Marx schon 1843/44 über sie herausgefunden hat – "das Opium des Volks" (Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie; MEW 1, S. 378). Aufgabe der Pfaffen aller Religionen ist es, neben ihrer sonstigen Seelsorge den Waffengängen die moralische Legitimation zu erteilen, die dabei anfallenden Opfer nach ihrem jeweiligen Ritus unter die Erde zu bringen und den Hinterbliebenen Trost zu spenden. Darin sind sie funktional für das staatlicherseits durchgesetzte politische Interesse – auch wenn der eine oder andere von ihnen mal nicht umhin kann, im Namen seines jeweiligen Allerhöchsten den Krieg als Ausfluss der "sündigen Menschennatur" anzuprangern.

Das Finale der kriegerischen Handlung hängt von der Tatenlust an der Heimatfront ab. So tourt die Gewalt-gegen-Schlagetot-Performance – garniert mit der Verbalerotik Schickeria versus Scharia – durch die wohlgestalteten Zitadellen beim Lehrfall in Sachen der Eine-Welt-Aristokratie. Ihre Fachwerker fackeln nicht lange und komplettieren die kompatible Aufklärungsformel vom Abendland versus Morgenland, während die Truppen der Zivilisation über die Horden der Barbarei triumphieren. Und Barbaren waren immer die Geschlagenen – haushoch unterlegen als Urvieh. Auch heute im Bergland von Hindukusch. Der millionenfach drohende Hunger- und Wintertod weckt natürlich moralisches Gewimmer bei Galaabendfeuilletonisten und Sonntagmorgenchristen. Das können sie aber nicht ändern, außer, daß sie maulfaul ihr Gewissen etwas zu erleichtern suchen – mit der Überweisung eines Obolus auf das Konto einer der humanitären Helfergilde. Gleichzeitig setzt die Fanggemeinde geläuterter Gläubigen ihre Gebetsstunden für die Bombenflieger fort, damit diese mehr die Zenturien der Gottesstreiter treffen als die zivilen Zentren.

Der Feldherr aber scheint nicht genötigt zu sein, sich solche Begleitmusik der Fanggemeinde geläuterter Gläubigen anzuhören, dieses rauchige Gewimmel am Wertehimmel. Auch nicht die moralischen Schwüre der Menschenrechtseliten, der Krakeler im linken Habitus sowie der ganzen Heerschaft der Kommunitaristen. Eingesackt von dem Imperatoren müssen sie vor ihm auf seinem mit “freedom and democracy” gefunkelten Pfauenthron zu Kreuze kriechen.

Der zivilisatorische Weltkrieg braucht seine Gespenster, die er sich ausmalt oder auch selbst fabriziert – mit immer wechselhaften Gesichtern. Slobodan Milosevic hieß der Supermutant vor etwa zwei Jahren, der als gefährlicher Gegner für den Plan der neuen Eine-Welt-Pyramide erschien. Überwältigt wurde er, verschleppt und vor das Straftribunal des Forum Okzidentum in Den Haag gestellt, wogegen er hinter den schalldichten Mauern weiter seine Stimme erhebt. Die von den Triumphatoren des Balkan-Feldzugs bestellten Kadis gestatteten ihm nicht, bei seiner zweiten Anhörung am 30. August 2001 eine Erklärung abzugeben, in der er dieser Furien-Justita jegliche Legitimität abspricht. In dem von “junge Welt” vom 25. und 26. Oktober 2001 dokumentierten Manifest entlarvt Slobodan Milosevic die nordatlantische Allianz nicht nur als Ziehvater des Terrorismus, sondern auch als dessen Schlagetot:

Das derzeit praktizierte internationale Recht akzeptiert die Bombardierung schutzloser Zivilbevölkerungen durch hochentwickelte Militärtechnologie, die ein Land zerstören kann, ohne es zu betreten, nur deshalb, weil eine Supermacht die internationale Strafverfolgung kontrolliert und über Verstöße entscheidet.

Das dominierende Element moderner Militärmacht ist Massenvernichtung. Sieger sind die Nationen mit der größten Fähigkeit zur Massenvernichtung. Damit wird die Zivilbevölkerung in einen Zustand maximaler Gefährdung versetzt; denn unmittelbares Ziel der US-Luft- und Raketenangriffe war die Infrastruktur für alles zivile Leben, für Gebäude, Wasser, Strom, Verkehr, Kommunikation, Nahrungsmittelerzeugung, -lagerung und -verteilung, medizinische Versorgung, Schulen, Kirchen, Moscheen, Synagogen, und ausländische Botschaften. Mehrere tausend Zivilpersonen wurden unmittelbar und weit mehr noch indirekt getötet. Die USA behaupten, 159 Todesfälle erlitten zu haben, ein Drittel davon durch eigenes Feuer, nicht im Kampf. ...

Die Idee Jugoslawiens, eine Balkanföderation zu bilden mit dem Ziel, Spaltungen zu heilen und eine bessere Chance für ein Zusammenleben in Frieden und Wohlstand zu bieten, galt in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg als ein wichtiges Mittel zum Frieden. Während die Idee zwischen den beiden schlimmsten Kriegen der Geschichte nur mühsam vorwärts kam, wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg, in welchem sie zu Schanden gemacht, aber nicht besiegt worden war, mit bemerkenswertem Erfolg verwirklicht. Eine unabhängige und vereinigte Bundesrepublik Jugoslawien wurde eine längerfristig erfolgreiche Lösung für die südslawischen Völker. Sie war ein Bollwerk der Blockfreienbewegung. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Ostblockwirtschaft war sie die übriggebliebene sozialistische Regierung, die für die kapitalistische Kontrolle Osteuropas eine Bedrohung darstellte. ...

Nach dem Zusammenbruch der Ostblockwirtschaft galt vielen in der Region eine größere Balkanföderation, eine südöstliche Europäische Union als ein Mittel, um wirtschaftlicher Ausbeutung vorzubeugen, Gewalt zu vermeiden und eine starke und unabhängige politische, soziale und wirtschaftliche Region zu entwickeln. Ausländisches Kapital und geopolitische Interessen der USA betrachteten dies als ein gefährliches Hindernis für ihre Pläne für eine neue Weltordnung, für Globalisierung und neuen Kolonialismus.

Nachdem die USA Jugoslawien dämonisiert hatten, griffen sie es straflos an und verfolgten seine Führung. Gnadenlos bombardierten die USA Jugoslawien 79 Tagen lang. Sie versuchten, mich zu ermorden, indem sie meine Wohnung, mein Büro und andere Örtlichkeiten, wo sie mich vermuteten, bombardierten. Sie versuchten, Libyens Staatsoberhaupt Muammar Ghaddafi bei ihrem Luftangriff auf Tripoli 1986 zu töten, ebenso wie den irakischen Präsidenten Saddam Hussein bei mehreren Gelegenheiten seit 1991 ...

Kann ein Straftribunal für Jugoslawien, das die durchgängige Gewaltanwendung der USA ignoriert und das öffentliche Bewußtsein vom Verhalten der USA ablenkt, das Luft- und Raketenangriffe auf Zivilisten und den Einsatz illegaler Waffen gegen ein Land nach dem anderen durch stillschweigende Hinnahme legitimiert und damit eine Wiederholung zu einem permanent zu erwartenden Ereignis macht, zu der Hoffnung auf Einhaltung des Rechts, auf Gerechtigkeit und Frieden beitragen?

Die Vereinigten Staaten selbst sind gegen Kontrolle oder Verfolgung immun, stehen über dem Gesetz und gebrauchen ihre Macht, um Feinde auszuwählen, zu terrorisieren und zu verfolgen.


Antideutschen-Tour hinter teutonischem Traktor für gerechte Gewalt

Das illegale Monument von Den Haag wird der Ex-Präsident Jugoslawiens wahrscheinlich nicht zum Einstürzen bringen können. Denn es markiert das Zeitwort der imperialistischen Apartheidsjustiz. Auf Widerstand dagegen steht lebenslänglich.

Dafür operiert der Stoßtrupp des Weltgeistes unter “stars and stripes”. Stark ist sein Hinterland, vereint sind hinter ihm doch die Kräfte der Aufklärung. Sie setzen ihre Wertepyramide als absolut voraus und beurteilen von deren Spitze herab den weiteren Weltstand. Augenfälliges Beweismaterial über die Bösewichter des schwarzen Septembers verlangen sie nicht. Alles, was sie für ihren Urteilsspruch brauchen, steht in der missionarischen Schwarte, dem Lehrherrenkapitel über die Rassen- und Kulturkreise.

Vor dem zivilisatorischen Fundamentalismus, der Autokratie des marktschreierischen Universalismus, bücken sich in den vorderen Reihen scharenweise die linksseitigen Autoren des deutschen Blätterdschungels. Unmut bereitet ihnen der beschleunigte Ausbau eines erdumspannenden Kontrollregimes, welches kein Außen mehr kennt. Betroffenheitssyndrom! Als “geistig miteinander verwandt” erklären sie den friedensbewegten Protest und den “islamistischen Terror”. Temperamente entfalten sie vor dem High-Tech-Feuerwerk der US-Army im afghanischen Bergland. Zu begrüßen sei sie, pinselt Udo Wolter in “Jungle World” vom 30. Oktober 2001 hin, “nicht als Retter vor dem Terrorkonzern al-Qaida”, dem “McDjihad als Kulturkonzern”. Aber beide seien noch lange nicht dasselbe:

Nicht nur die monströse Qualität der Anschläge in New York und Washington oder ihre Folgen wie die Militarisierung der Politik, die repressive Formierung des Sicherheitsstaates und die Verschärfung rassistischer Ausgrenzung (nicht nur gegen MuslimInnen) haben dazu beigetragen.

In den Beiträgen drückt sich auch eine diffuse Ahnung aus, dass sich die moderne kapitalistische Warenvergesellschaftung deutlich einem Stadium angenähert hat, wie es in den düsteren kulturindustriellen Visionen von SciFi- und Katastrophenfilmen antizipiert wird. In den verwüsteten Modernisierungsruinen organisieren sich religiöse Terrorsekten, während aus den verbliebenen Wohlstandsinseln hochtechnisierte Killerspezialisten zur Liquidierung der Oberschurken in die Verwüstungsregionen ausgesandt werden. Ein Szenario wie aus dem Film “Die Klapperschlange”, der bereits vor einigen Jahren Wolfgang Pohrt zu seinen Reflektionen über den Zerfall des Staates und der Politik bürgerlicher Herrschaft in Bandenstrukturen inspiriert hat.

Tatsächlich haben diese Fantasien einiges für sich, nicht nur wegen der kulturindustriellen Implikationen. Das gilt auch, wenn der unbedingt notwendige Bezug auf den antisemitischen Charakter der islamistischen Anschläge von New York und Washington hergestellt wird. Denn das Vorgehen der USA angesichts der Bedrohung ist weit eher mit der Logik des Racket zu erfassen als mit der Konstellation des Zweiten Weltkrieges, auf die Antideutsche die aktuelle Situation abzubilden versuchen. ...

Auch die umstandslose Gleichsetzung des Islamismus mit der NS-Ideologie überdeckt mehr, als sie selbst bei vorsichtigem Gebrauch erhellen könnte, wenn sie der falschen Kapitalismuskritik der antisemitisch grundierten Verschwörungstheorien und antiamerikanischen Ressentiments des linken Antiimperialismus und der Friedensbewegung eine genauso simplifizierende “Weltverdeutschungstheorie” entgegensetzt. Das heißt aber nicht, dass eine Untersuchung der fatalen Verwandschaften zwischen der deutschen Ideologie und dem Islamismus sich erübrigen würde.

Um die Personifizierung der McDjihad-Vertreiber als “Ideologieunternehmen einer neuen Art” auf perfektible Beine zu stellen, macht Udo Wolter vielerlei Ausflüchte. Fest steht für ihn, daß die völkisch-antisemitische “Weltanschauung” des Nazismus” mit dem Islamismus eben darin vergleichbar sei, “dass beide eine durch und durch antiemanzipatorische und antiaufklärerische Reaktion auf die warenkapitalistische Modernisierung darstellen. Beide setzen auf die regressive Utopie einer organischen Gemeinschaft als eine Art romantischer Gegenmoderne, die den Hass auf das Abstrakte der Herrschaft kapitalistischer Warenvergesellschaftung im jüdischen Finanzkapital und jüdisch beinflusster amerikanischer Macht personifiziert.” Al-Qaida stehe für eine Art Kulturindustrialisierung des Terrors, und der Antisemitismus sei im Supermarkt der Ideologieunternehmer ein absoluter Verkaufsschlager:

Die WTC-Anschläge waren ein monströs blutiger und auf allen Bildschirmen der Welt fast in Echtzeit verfolgbarer Groß-Event, der für die zahlenden Konsumenten (Spender, aber auch der jetzt mit Bin-Laden-Postern herumlaufende Mob) den “imaginären Gebrauchswert” der Entladung antisemitisch und antiamerikanisch aufgeladener Affekte besaß. ...

Ähnliches gilt für den virulenten Antisemitismus und den Hass auf Israel und Amerika als Agenten des jüdischen Finanzkapitals, den der kulturindustrielle McDjihad-Konzern von bin Laden nun auf so grausame Weise medienwirksam zelebriert. ... In der Rede von den sozialen Ursachen der islamistischen Gewalt, die in Deutschland übergreifend von der FAZ bis zur Friedensbewegung präsent ist und in der regelmäßig zuerst die “palästinensischen Opfer der israelischen Besatzungspolitik” genannt werden, macht man sich mit diesem Bündnis gemein.

Davor warnt auch der libertäre Europoid Daniel Cohn-Bendit, der in den Taliban das Faschistoide erblickt und erdichtet, wie der Islamismus auf dem Unglück der arabischen Massen surfe wie einst der Bolschewismus auf dem des Proletariats. Grundfalsch ist für den McDjihad-Erfinder Udo Wolter jede andere These, den islamistischen Aufstieg mit dem aus der gescheiterten Modernisierung erwachsenden Elend und den gescheiterterten Versuchen des Aufbaus sozialistischer Gesellschaften verknüpft. Der Islamismus bleibt die Gewalt im Naturzustand und rechtfertigt den Einsatz einer noch größeren Gewalt:

Dass diese noch größere Gewalt heute von den Erben des Kolonialismus kommt, die keinerlei emanzipatorisches Glücksversprechen mehr anzubieten haben, sondern nur dafür sorgen, dass die Geschichte weitergeht als “eine einzige Katastrophe, die Trümmer auf Trümmer häuft” (Walter Benjamin), sollte für Linke jede positive Parteinahme unmöglich machen. Sie kann sich nur negativ gegen jeden Versuch Deutschlands richten, diesen Krieg auszunutzen, um zu neuer Weltgeltung zu gelangen und die eigene Vergangenheit zu entsorgen.

Noch mehr soll sich ihre Negation gegen jegliche Rebellion der Hungerleider richten, nachdem das Trommelwerk der antideutschen Agitatoren hinter dem teutonischen Traktor bereits manifestiert hat, daß der Antiimperialismus schon immer auch Antisemitismus gewesen sei. Eine Renaissance des Pangermanismus schließen sie aus, sehen sie höchstens im Panislamismus. In ihm entdecken sie Antwort auf die Selbstzerstörung der Moderne sowie das rückwärtsgewandte Ressentiment, das das Abendland als Träger der Zivilisation gegen sich selbst gehegt habe. Der Torschluß erreicht! Was bleibt, ist die Apokalpyse, nebenan die kreuzzugskreischenden Ergüsse der teutonischen Philosemiten.

Worin unterschieden sie sich aber von den Antisemiten des Pangermanismus, wenn sie – getarnt als Radikalgegner der nationalsozialistischen Ideologie – eine zwingende Verbindung zwischen TwinTowers und dem Judentum in aller Frühe des Trümmerrauchs mannigfach herstellen konnten?

Die Antwort, würden die Apologeten des Nordiden-Götzen trällern, liegt im Trümmerrauch über Manhatten, der sich noch lange nicht legen will - wie die Freiheit der Wallstreet-Domäne. Ihr Weltkriegsverkünder versetzte eine messianische Saite in Schwingung, damit sich die Lehrherren im pastoralen Ornat zu Ersatztriumphatoren der Feldschlachten erklären lassen und im Angesichts des Todes reichlich Trost spenden können. Allein der Schwurfinger des Geldes, die unsichtbare Hand des Freibeutertrabanten, missioniert weiter.

Nichts wird anderes sein. Etwas härter, etwas schärfer. Weiter wird das bärtige und mit Tschador verhüllte Grauen aus Titelseiten und Fernsehkanälen dem neugierigen Gaudiumshungrigen entgegenblicken. Leitartikeln werden die weißen Weisen über Fanatismus und Aufklärung. Jeder der Intelligentsia wird sich berufen fühlen, einen Reim auf das Bevorstehende zu machen, über die Renaissance des starken Staates zu räsonieren. Die bisherigen Ergebnisse der Stichworten-Ergüsse faßt Jan Ross in “Die Zeit” vom 1. November 2001 zusammen:

Wenn von der jetzt eingetretenen Situation etwas für die deutsche Debatte zu erwarten und zu erhoffen ist, dann eine Horizonterweiterung. Ausländer- und Migrationsfragen werden nicht mehr allein als humanitäre, sozialökonomische oder demografische Angelegenheiten zu diskutieren sein; man wird sich mehr über die kulturelle Seite des Zusammenlebens Gedanken machen müssen, über Normen und Bräuche, über Familie, Schule und Moschee. Deutsche und Nichtdeutsche in der Bundesrepublik werden einander genauer ansehen, kritischer auch - aber, da gibt es bisher Grund zur Zuversicht, ohne übertriebenes Misstrauen. Zugleich kommt der Öffentlichkeit zu Bewusstsein, dass eine Welt jenseits von Brüssel existiert. Man ist auf einmal peinlich berührt, dass es hierzulande kaum Interesse und Expertise für etwas fernere Winkel der Erde gibt, keine weise ergrauten Exbotschafter, die auch im Fernsehen eine gute Figur machen, keine Orientalisten mit Zeitungskolumne und reicher Erfahrung als Regierungsberater. Das vielberufene "Erwachsenwerden" der Bundesrepublik hat nicht in erster Linie mit Wehr und Waffen zu tun - das ist, wie wichtig auch immer, ein Nebenaspekt. Vor allem anderen geht es um Entprovinzialisierung.

   

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