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Inszeniert der Kriegsminister den Apolog der Apokalypse,
gehören Betonmauer und Stacheldraht zur Grundausstattung. Noch
steht das historische Bauwerk bevor: Eine Stahlplatten-Mauer mitten
in Oder und Neiße sowie den Gebirgshügeln, Sturmboote
vor den Adria-Küsten der Festungsstiefel, auf der Straße
von Gibraltar und überall sonst, wo der Limes des Abendlandes
markiert wird. Von innen freiheitlich und schwarz-rot-gold, von
außen mit Graffiti und Efeu versehen: Betreten der Freiheitszone
nur für Inhaber der "Greencard", ausgestellt vom
Versorgungsamt der Berliner Reichsrepublik für die Versorgung
der Greisen-Idylle mit frischem Humankapital und grauem Freiheitsfanal.
Ex oriente lux im Souterrain unter der Spree, lavendelblau
und weinrot laviert, am Keilbein des Auswärtigen Amtes. Dort
ist Orient des Vierten Reichs nicht nur etwas aus den Steppen östlich
vom Bosporus, etwas aus Ruhrpott-Ghettos oder Kreuzberg-Kolonien,
sondern auch aus dem Neufünfland-Container auf dem Grundstück
der früheren DDR.
Ex oriente lux im Amphitheater der "Eine Welt"-Germania:
Dem sozial umrundeten Antikommunismus der demogracierten Rosen-Fänger
folgten die gelinkten Sonnenblumen-Sänger - das Grammophon
der "IV. Internationale" spielte in der Souffleur-Kabine
das Leo-Trotzki-Walzer der "permanenten Revolution". Neue
Akteure brauchte aber der Hegemonialakt der Freiheitslyrik. Die
Civilsociety lieh sich Laien, und die bunten Postboten mit dem Label
NGOs brachen auf in Weiten, begannen Vasallen- und Lakaien-Clubs
in Trikont und Peripherie mit Bahschisch und Menschenrechtshaschisch
zu versorgen.
Ex oriente lux im Chancellor-Provisorium: Nach Informationen
aus den Waschweiber-Kabinen klafft im Schröder-Kabinett ein
unüberbrückbarer Graben zwischen grün und rosa. Man
sagt, die einen glauben, nicht genug vom Ethno-Konsum bekommen zu
haben, während sich die anderen danach sehnen, ab und zu einmal
die "Internationale" anzustimmen. Und der Ex-Stadtguerilla-Anwalt
Otto Schily versucht auf poetisch-ansprechende Weise zu erklären,
warum er im Bund mit der alldeutschen Mehrheit gern eine Rolle Stacheldraht
mehr an den deutschen Grenzen ausrollen will. Grenzwälle werden,
hätte er im Jetzt-Posten des strammen Innenministers sagen
müssen, gerade in den Zeiten des Freihandels vor dem Fluß
des Kapitals mit dem Präfix "Human" ausgebaut.
Ex oriente lux im Urbanen-Kontinuum: Grenzwälle
sind so alt wie Polis und Agora, wo es darum ging, den privatisierten
Reichtum gegen die Barbaren zu verteidigen. Als Barbaren galten
immer jene Geschlagenen, die von ihren Sieger in Besitz genommen
sowie auf den Sklavenmarkt ausgepeitscht wurden. Als Barbaren galten
jene Völkerschaften, die von den Heeren der Patriziate und
feudalen Burgherren überfallen und ausgeplündert wurden.
Auf die Grenzwälle stützen sich gegenwärtig
die Normalfälle der nordischen "Eine Welt"-Oligarchie
wie die grauen Zonen der Maquiladora-Industrien - auch im unmittelbaren
Blickfeld der berlinischen Metropolitan-Linke. Kommt es in ihrer
Diskursbaracke zum Streit über die Grenzwerte der Globalisierung,
so schaut sie einheitsparteilich sofort über den Atlantik und
wirft den Starrblick auf die Billigstlohnoase im Grenzgebiet von
Mexiko zu den USA. Daß diese Maquiladora-Industrie auch auf
den gegenüberliegenden Ufern der eigenen Grenzflüsse und
in den benachbarten Hängen der Grenzgebirge florieren könnte,
kann sie nur schwer glauben. Erst braucht sie Fakten, und die liegen
natürlich im Panzerschrank der Deutschland AG.
Es folgt der Jammerchor mit Missionaren-Manier, wenn
die Texter der Zivilisationssheriffs eine "Neuregelung der
vertrackten Asylparagraphen" aufs Papier bringen und gegen
das Dogmenarsenal der Menschenrechtsaktionäre die Hand erheben.
Hierzu eine Stellungnahme in "Denkpause" vom 27. März
2000, der Informationsschrift von Ilka Schröder, MEP/Fraktion
"Die Grünen/Europäische Freie Allianz":
Der deutsche Innenminister Otto Schily will humanitäre
Maßnahmen von BeamtInnen des BGS stärker verfolgen. Zwei
Grenzschützerinnen hatten laut einem Bericht des "SPIEGEL"
(31.01.00) 200 DM für den ungehinderten Einlaß von Flüchtlingen
angenommen - und damit das gleiche gemacht, wofür an der Grenze
BRD-DDR einst als Helden gefeiert wurden.
Für die Zukunft will Schily die Flüchtlingsabwehr
nach Osten verlegen. Ungarns Abschottungspolitik lobt er mit den
Worten: "Ich habe den Eindruck gewonnen, daß sich Ungarn
den Erfordernissen einer EU-Mitgliedschaft bewußt ist und
sehr konsequent an die Probleme herangeht". Damit Europa auch
nach einer Osterweiterung eine Festung bleibt, gibt Deutschland
bis 2002 zur Sicherung der Grenze an Ungarn technische Ausstattungs-
und Ausbildungshilfen im Wert von zwei Millionen DM. Der Grenznachbar
Polen hat seit 1992 für den gleichen Zweck 13,9 Millionen DM
erhalten. Die Rhetorik von "Ausländerflut" und "Das
Boot ist voll" setzt Schily mit der Warnung an Polen fort,
daß es nach dem EU-Beitritt eine "stark immigrationsbelastete
Außengrenze" sichern müsse. Nach Zählungen
der deutschen Bundesregierung sind zwischen 1997 und Oktober 1999
an den deutschen Außengrenzen 42 Personen bei Einreiseversuchen
gestorben. An anderen EU-Außengrenzen (vor allem im Meer vor
Spanien und Italien) umgekommene Menschen, sowie jene, deren Leichen
in der Oder/Neiße unauffindbar untergegangen sind, tauchen
natürlich auch in den Statistiken nicht wieder auf. Otto Schily
ist Innenminister der rot-grünen Bundesregierung von Deutschland.
Otto Schily gehört zum Generalstab der Menschenrechtskrieger
in der Schengenburg, fühlt sich jedoch nicht zuständig
für das Toten-Drama am Limes des Imperium Okzidentum, wie es
sich im folgenden Szenarium einmal abspielte – aufgedeckt
durch eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau
und der Fraktion der PDS im Deutschen Bundestag:
Ein unbekannter Mann wird erfroren und ertrunken an
der Neiße gefunden. Ein unbekannter Mann wird ertrunken an
der Oder gefunden. Ein Baby aus Afghanistan ertrinkt in der Neiße.
Eine unbekannte Frau wird ertrunken an der Neiße in der Nähe
gefunden. Sieben Menschen sterben bei einem LKW-Unfall auf der Flucht
vor dem BGS in Weißenborn.
60 Nordafrikaner ertrinken auf ihrem Weg nach Spanien
in der Nähe von Tanger. 7 Nordafrikaner ertrinken in der Nahe
von Pantelleria auf ihrem Weg nach Italien, als ihr Boot untergeht.
3 Iraki werden bei ihrem Versuch, die türkisch-griechische
Grenze zu überqueren, durch Minen getötet. 26 Nordafrikaner
ertrinken bei ihrem Versuch, die Straße von Gibraltar zu überqueren.
4 Nordafrikaner ertrinken auf ihrem Weg nach Spanien in der Nahe
von Tarifa. Ein Albaner wird auf seinem Weg nach Italien durch eine
Bootsschraube tödlich verletzt. 5 Albaner ertrinken auf ihrem
Weg nach Italien in der Nahe von Brindisi.
Der erste Teil der Kleinen Anfrage: Wie viele Personen
sind nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren 1997 bis 1999
an den Landgrenzen, Küsten, Seehäfen, Flughäfen bz
v. im Grenzgebiet der Bundesrepublik Deutschland tot aufgefunden
worden (bitte nach Datum und Ort des Auffindens, Nationalität
des Opfers und Todesart bzw. Umstände des Todes aufschlüsseln)?
Die Anwort der Bundesregierung vom 25. Oktober 1999:
Tote und Verletzte im Zusammenhang mit dem Versuch, unerlaubt nach
Deutschland einzureisen, sind die traurigen Begleitumstände
einer Schleusungskriminalität, deren Drahtzieher immer professioneller
und zunehmend menschenverachtender operieren. Die seit 1998 gleichwohl
deutlich zurückgehende Zahl von Todesfällen beruht auf
einer offensichtlichen Änderung der Schleusungsrouten. Kriminelle
Schleuser führen ihre Opfer nicht mehr hauptsächlich über
die deutsch-polnische Grenze mit den vor allem in der Dunkelheit
gefährlichen Flüssen Oder und Neiße, sondern schleusen
vermehrt über die deutsch-tschechische und deutsch-österreichische
Landgrenzen.
Der Bundesregierung sind in den Jahren 1997 bis 1999
(Stand 10. Oktober 1999) nachfolgend genannte Einzelfälle bekannt
geworden, bei denen insgesamt 42 Personen an den Grenzen bzw. im
Grenzgebiet Deutschlands tot aufgefunden wurden. Überwiegend
handelte es sich um Ertrinkungsfälle. 9 Menschen starben 1998
in Folge von Verkehrsunfällen. Bei 2 Personen war Unterkühlung
die Todesursache, in einem Fall lag natürliches Herzversagen
vor. Aus dem Fund eines Leichenteils wurde auf einen Ertrinkungstod
geschlossen.
29 Todesfälle vermutlich durch Ertrinken, 9 Todesfälle
in der Folge von Verkehrsunfällen, 2 Todesfälle durch
Unterkühlung, 1 Todesfall Herzversagen, 1 Fund eines abgetrennten
Unterschenkels mit Schuhwerk. Davon: Jugoslawisch 8, afghanisch
5, polnisch 4, deutsch 3, mazedonisch 2, bengla-deschisch 1, schweizerisch
1, senegalisisch 1, unbekannt 17.
Der zweite Abschnitt der Kleinen Anfrage: Wie viele
Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren 1997
bis 1999 an den Grenzen der Europäischen Union insgesamt tot
aufgefunden worden (bitte nach Datum und Ort des Auffindens, Nationalität
des Opfers und Todesart bzw. Umstände des Todes aufschlüsseln)?Wie
viele Todesermittlungsverfahren wurden diesbezüglich eingeleitet
und mit welchem Ergebnis abgeschlossen (bitte aufschlüsseln)?
Die Bundesregierung : Keine Erkenntnisse.
Skandal »Hilfsbusiness« und Ärger mit Menschenrechtsuntermenschen
Nach der Proklamation der neuen, monopolaren Weltordnung
im Anschluß des Wüstensturms in Mesapotamien kletterte
der Ausdruck "Tittytainment" auf der Karriere-Leiter,
den der alte Haudegen Zbigniew Brzezinski ins Spiel brachte. Der
gebürtige Pole war vier Jahre lang Nationaler Sicherheitsberater
von US-Präsident Jimmy Carter, seither beschäftigt er
sich mit geostrategischen Fragen. "Tittytainment" sei
eine Kombination von "entertainment" und "tits",
dem amerikanischen Schlagwort für Busen. Der Wortschöpfer
denkt dabei weniger an Sex als an die Milch, die aus der Brust einer
stillenden Mutter strömt. Mit einer Mischung ans betäubender
Unterhaltung und ausreichender Ernährung könne die frustrierte
Bevölkerung der Welt schon bei Laune gehalten werden.
Parallel zum Aufstieg von Brzezniskis "Tittytainment"
wurde auch das Heulen des NGO-Sturms lauter, der die Großmut
der Freibeuter in eine postkolonisierte Kiste der "humanitären
Hilfe" trieb.
Ob von gutem Willen oder schlechtem Gewissen gegenüber
ihrem Klientel geleitet, mit dem Präfix "post" leisten
die linksrennenden NGOs wie medico international, BUKO, iz3w u.a.
zur zivilistischen Interpretation der abendländischen Großerzälung
einen nur bescheidenen Beitrag. Die Kärrnerarbeit erledigt
die Wall-Street-Intelligenz auf dem "Post"-Güterbahnhof
mit dem Postkommunismus, wobei sie - welche eine Paradoxie - den
Draht zur Marx-Bibliothek nicht unterbricht, die neoliberal konservative
Revolution unter dem Label Globalisierung, Laisser-Passer-Totalitarismus,
als Schicksal aufzudrücken. Verschleiert wird sie mit Begriffen
wie Demokratie, Menschenrechte, Frieden, Ökologie, Gleichberechtigung
u.a. im Kapitel der Heuchelei. Auch die antirassistische Linke sucht
keinen Ort über "post" hinaus. Nach dem Postnationalismus
fällt es ihr anscheinend schwer, ein "Danach" für
Rassismus zu begründen wie etwa Postrassismus. Den Antirassismus
gibt es nur, weil die Bourgeoisie ihn als Maske braucht, um ihre
Maskerade von der Gleichheit aufzuwerten.
Der Postkolonialismus spricht die nordischen Nationen
nicht nur von ihrer vergangenen Piraterie frei, sondern er stützt
auch einen Zeitgeist, der den Taschendieb verpflichten soll, seinem
Opfer ein Taschengeld zu lassen, damit der Zwist nicht im Gewaltakt
mündet. Doch zum Höllenkrach kommt es trotzdem, wenn der
eine gezwungen wird, dem Zuckerlecken des anderen in Überfluß
ständig nur zuzuschauen. Gerade in diesem Konfliktraum definiert
sich die Grundfunktion der NGOs - nicht als Akteure der "humanitären
Hilfe", sondern als deren Doubles.
Als Fälschung erweist sich ihre Lobbying-Rolle
für die Armen und Opfer. Echt ist sie vielleicht in den Eingangshallen
der Weltbank, EU, UNO, Global Players oder Nationalstaaten, in denen
sie als Subunternehmen untereinander konkurrieren - um die Mittel
aus den Werbeetats. Wer schließlich das Geld gibt, läßt
nach seiner Pfeife tanzen. Und das Hauptanliegen der institutionalisierten
"humanitären Hilfe" liegt darin, einem winzigen Teil
der globalen Elenden einen von Reklame-Kameras begleiteten Zugang
zum Bettelstab zu ermöglichen, gleichzeitig aber die trikontinentale
Armut wiederaufzubauen.
Hinzu kommt, daß die NGOs häufig auch als
verlängerter Arm der nordatlantischen Allianz sowie Sicherheitsbündnisse
funktionieren, die quer zu allen nationalen Grenzen in Schengenburg
verlaufen. Für sie ist die Einhaltung von Menschenrechten ein
Anliegen der Interessenpolitik, da Diktatoren als Schurken-Quarantäne
der Primitiven gelten und als Produzenten von Flüchtlingswellen.
Daraus wird Stück für Stück das Barbaren-Kopie der
"neuen Völkerwanderungen" abgefertigt.
Was im Begriff Nichtregierungsorganisation auch immer
stecken mag, ohne die Gelder, die Regierungen reichlich in ihre
Beutel schaufeln, haben sie keine Existenzbasis. So sind sie "Partner"
des Bundesministeriums für Entwicklungszusammenarbeit (BMZ):
Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe, Diakonisches
Werk der EKD/Brot für die Welt, Dienste in Übersee, Evangelisches
Missionswerk, Christliche Fachkräfte International, Katholische
Zentralstelle für Entwicklungshilfe, Misereor, Arbeitsgemeinschaft
für Entwicklungshilfe und Renovabis. Im Jahr 1997 wurde ihnen
von der Bundesregierung 286,5 Mio. DM bereitgestellt. Hinzu kamen
rund 2,9 Mio. DM für Projekte in Mittel- und Osteuropa.
Friedrich-Ebert-Stiftung, Konrad-Adenauer-Stiftung,
Friedrich-Naumann-Stiftung, Hanns-Seidel-Stiftung, Heinrich-Böll-Stiftung
erhielten im gleichen Jahr BMZ-Mittel in Höhe von 347,5 Mio.
DM.
Und mit 70,4 Mio. DM gefördert wurden sonstige
private Träger wie Aktion Friedensdorf, Andheri-Hilfe, Deutsche
Welthungerhilfe, Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Caritasverband, Deutscher
Genossenschafts- und Raiffeisenverband, Deutscher Volkshochschulverband,
Sozial- und Entwicklungshilfe des Kolpingwerkes e.V., Hilfswerk
der deutschen Lions, Jugend Dritte Welt, Komitee Ärzte für
die Dritte Welt, Kübel-Stiftung, Terre des Hommes, Weltfriedensdienst.
Die Zuwendungen des BMZ an den Deutschen Entwicklungsdienst
lagen im Jahr 1997 bei 131 Mio. DM, an die Carl Duisberg Gesellschaft
in Höhe von 123 Mio. DM.
Weiter stehen auf der NGO-Liste, die das BMZ fördert:
ASA-Programm der Carl Duisberg Gesellschaft, Deutscher Akademischer
Austauschdienst, Alexander von Humboldt-Stiftung, Deutsches Institut
für Entwicklungspolitik, Goethe-Institut.
Die Fördersumme entspricht einem Anteil von ca.
10 % an den Gesamtausgaben des Entwicklungshilfehaushalts.
Eine Leistung, die es verdient, in den Obergeschoß-Kasten
des Kontinuums gefeiert zu werden. Gefeiert wird die Marginalisierung
des Gegenfeuers. Wenn die Hofphilosophen der monopolaren Weltodnung
aber Verfassungsentwürfe für eine Weltgesellschaft basteln,
müßten sie eigentlich für ein Weltsozialamt parlieren.
Höllenhund oder teuflischer Engel, über
einen gewissen Stellenwert verfügt das Streitthema NGO-Gesellschaft,
und gepäppelt wird sie, damit sie ein immer breiteres Publikum
mit Erregungsreklame versorgt. Überwunden wird dabei "die
Schwierigkeit, mit richtigen Argumenten nichts Falsches zu sagen",
wie Jochen Hippler in "Freitag" vom 10. März 2000
einführend in seine Schlußbilanz zur Debatte im desselben
Blatt formuliert:
NGOs als Gesamtkategorie sind fast nur eine Fiktion,
sind ein Abstraktum ohne analytische Substanz. Der ADAC und medico
international sind beide NGOs - sonst haben sie nichts gemein. Manche
NGOs bestehen aus ein paar Freunden, die in der Ferne Gutes tun
wollen. Andere dienen der gemeinsamen Kaninchenzucht, wieder andere
sind zu globalen Konzernen herangewachsen, die kommerziellen Multis
immer ähnlicher werden und auf dem Mitleidsmarkt um Marktanteile
ringen. Andere verfolgen politische Ziele, manche wollen den Kapitalismus
bekämpfen, andere ihn stabilisieren helfen. Sie sind groß
oder klein, reich oder arm, mächtig oder handlungsunfähig.
Ihre Zwecke sind sinnvoll, vernünftig oder idiotisch. Manche
dienen vor allem der Bereicherung ihres Führungspersonals,
wieder andere engagieren sich selbstlos und aufopferungsvoll für
Andere, für Unterdrückte oder Schwache. Manche sind bloße
Dienstleister, viele hängen am Tropf des Staates und sollten
gar nicht NGO genannt werden. ...
Die Verteidiger "der NGOs" verteidigen meist
nicht diese, sondern ihr eigenes, romantisiertes Bild von ihnen,
und die kritischen Kritiker haben alle Hände voll zu tun, Pappkameraden
aufzubauen, um sie dann wieder flachzulegen. Dabei wollen wir lieber
nicht stören. Wenn die Freitag-Debatte ein Ergebnis hatte,
dann dies: die Probleme der NGOs liegen auf zwei Ebenen - einmal
im Detail ihrer konkreten Arbeit, wo es genug Konflikte, Illusionen,
Verdienste und Versagen gibt. Und zweitens darin, dass sie immer
wieder als Projektionsfläche herhalten müssen, um mal
als Finsterlinge, mal als Lichtgestalten zu dienen. Beides ist sicher
gut gemeint, überfordert und überschätzt die NGOs
aber. Die Realitäten sind viel trivialer.
"Weltmacht NGOs?" fragt sich Wolfgang Ehmke
im gleichen "Freitag" und fügt hinzu: "NGOs
operieren zwar weltweit, aber weitgehend ohn-mächtig. Das macht
sie nicht überflüssig. Sie repräsentieren humanistische
Werte, sie sind das soziale und ökologische schlechte Gewissen
saturierter Gesellschaften. Das ist wertvoll." Und wie? Oder
sind sie nichts anderes als ein Spiegelbild imperialer Machtstrukturen?
Genau diese Schlußfolgerung zieht der Autor aufgrund weiterer
Fragen: "Aber sind sie auch die Keimform einer neuen Zivilgesellschaft?
Welche Werte repräsentieren sie? Wenn nur diejenigen NGOs am
Verhandlungsmarathon in Kyoto auf der 3. UN-Klimakonferenz 1997
durchhalten konnten, die selbst finanzstark genug sind?"
Und an einer anderen Stelle mit Nikaragua als Beispiel
stellt Katja Maurer in der "kritischen Nothilfe" einen
"Drahtseilakt" fest:
Humanitäre Hilfe und die NGOs, die sie praktizieren,
sind ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. In vorderster Front stehen
die Medien, die nun das »Hilfsbusiness» als Skandal
enthüllen, obwohl sie durch die Medialisierung der Gesellschaft
und unter weidlicher Ausschöpfung des Quotenrenners Katastrophen-TV
dieses erst mit erzeugt haben. ...
Die humanitäre Hilfe hat nicht erst im Kosovo
ihre Unschuld verloren. Und auch die NGOs, egal ob aus dem kirchlichen
Spektrum oder eher aus dem linken Milieu, tragen schwer an der Last,
die ihnen nach dem Ende des Kalten Krieges in überschwänglicher
Globalisierungseuphorie von anderen aufgebürdet wurde: Sie
nämlich sollen angesichts eines außer Rand und Band geratenen
freien Markts die Demokratie retten und für eine gerechtere
Weltordnung sorgen. Diese Anmaßung haben die NGOs nicht zu
verantworten. Ähnlich wie die humanitäre Hilfe werden
sie mit dieser Rollenzuweisung zum Ablageplatz für das schlechte
Gewissen einer Weltgesellschaft, die im Zuge der Globalisierung
droht, jeden sozialen Gedanken aufzugeben. Bei allem berechtigten
Unmut über Selbstanmaßung und NGOisierung des Entwicklungsgedankens
- hier muss sich Kritik doch zuallererst an andere Adressaten richten.
...
Dass diese Überflutung mit internationalen Hilfsaktionen
zu problematisieren ist und manchmal mehr schaden als nutzen kann,
ist unter den NGOs Konsens. In einer von der Öffentlichkeit
weitgehend unbeachteten Diskussion hat man längst gemeinsame
Standards für den Umgang mit solchen Notsituationen entwickelt.
Ist damit die humanitäre Nothilfe gegen Kritik gefeit? Mit
den Bildern von den Katastrophen werden auch gleich die Bilder von
der schnellen Hilfe in die Haushalte der Geberländer geliefert.
In der Suggestion, dass jede Katastrophe durch Hilfe zu kontrollieren
und zu bewältigen sei, liegt das eigentlich Fatale. Denn die
Gewährung und Ausgestaltung der Hilfe des »Nordens»
ist zu einer Frage der Einschaltquote geworden. Da geht es nicht
nur darum, ob die EU-Fahne im Bild ist, wenn die Hilfsgüter
geliefert werden, sondern auch darum, wann, wem und wie lange geholfen
wird.
Durch die Medialisierung hat sich der Druck der Geldgeber
auf die Hilfsorganisationen erheblich verstärkt, sehr schnell
vorzeigbare Ergebnisse zu liefern. Genau das geschah auch in Nikaragua.
Häuser und Latrinen wurden zum Teil so provisorisch und im
Schnellverfahren errichtet, dass sie die nächste Regenzeit
nicht überstehen konnten. Unter dem Druck der Einschaltquote
und der Geber ist dies zwar Hilfe in der Not, die aber ihre Notwendigkeit
wieder selbst reproduziert. Solange humanitäre Hilfe nur die
Armut wiederaufbaut, ist der nächste Einsatz humanitärer
Hilfe absehbar.
Um sich den Luxus zu leisten, Appelle zu verteilen,
braucht man nicht nur Erhabenen-Moral, sondern die materielle Macht.
"Nun spenden wir wieder" - so überschreibt Wolfgang
Thielmann in "Rheinischer Merkur" vom 10. März 2000
sein Plädoyer für eine "faire Chance", die Afrika
nötiger als "Eingreiftruppen" brauche:
Wir spenden wieder, gern und reichlich. Als die Kameraleute
in südafrikanische Hubschrauber stiegen und filmten, wie die
Besatzungen Flutopfer in Mosambik von Dächern, Bäumen
und aus dem Wasser holten, darunter das in einer Baumkrone geborene
Kind, und als sie sagten, weitere Hubschrauber würden gebraucht,
lief die Maschinerie an. Die Bundeswehr flog hin, der Bundesgrenzschutz.
Spendenkonten wurden in die Nachrichten eingeblendet. Jetzt helfen
wir, nackte Menschenleben zu retten. Jetzt diskutieren wir darüber,
ob man nicht eine humanitäre Eingreiftruppe aufstellen müsste.
Jetzt wird es vielleicht sogar möglich sein,
über die Unterstützung des Wiederaufbaus zu sprechen,
bevor die Kameras wegschwenken. Vielleicht ergibt sich auch eben
noch die Chance, darüber zu informieren, dass ein Land wie
Mosambik mit seinen 19 Millionen Einwohnern pro Kopf nicht einmal
ein Zwanzigstel des deutschen Bruttoinlandsproduktes erwirtschaften
kann und dass es kaum eine Chance auf dem Weltmarkt bekommt, der
für Länder wie dieses so frei nicht zugänglich ist.
Dass an Katastrophenschutz etwa kaum zu denken ist. ...
Die Armenhäuser des globalen Dorfs liegen noch
weit abseits. Bei Hochwasser kommen wir. Wenn das Fernsehen es zeigt.
Es ist die Erfahrung der Hilfsorganisationen, dass
man in aller Regel vergeblich vor Katastrophen warnt, dass Aufmerksamkeit
oft erst dann zu bekommen ist, wenn sich Kameras auf sterbende Menschen
richten. Dass dann mitunter Summen verfügbar sind, die für
Vorbeugung und wirtschaftlichen Aufbau nie zu erhalten waren.
Die westliche Welt ist mit dem Aufbau Ost beschäftigt.
So nötig er ist, er geht zulasten der südlichen Erdhalbkugel.
Die Bundesregierung hat die Entwicklungshilfe zurückgefahren
und die Unterstützung der kirchlichen Initiativen, die sehr
effizient arbeiten, beschnitten.
Das ging, weil das Interesse am internationalen Ausgleich
überdeckt wurde durch die Angst vor dem schnellen wirtschaftlichen
Wandel. Die Spenden zeigen aber eine Bereitschaft zum Helfen. Politische
Entscheidungen müssen dazukommen. Die armen Länder brauchen
vor allem eine faire Chance, noch nötiger als eine Eingreiftruppe.
Bei den "Freitag"-Gedanken vom 10. März
2000 geht es Stefanie Christmann nicht um die NGOs als das gute
Gewissen der übersatten Spender-Domäne, sondern um "Alien
oder Parasit" nach der Naturkatastrophe in Mosambik:
Während die Endeavour tagelang den Globus umkreiste,
um dreidimensionale Landkarten zu erstellen, stieg den Menschen
in Mosambik das Wasser bis zum Hals. Und höher. Auswärtigem
Amt und Entwicklungshilfeministerium war bekannt, dass die Katastrophe
kommen würde; sie kennen das Armenhaus im Süden Afrikas
auch gut genug, um zu wissen, dass es bei einer solchen Naturkatastrophe
völlig auf ausländische Hilfe angewiesen ist. Zuständig
für humanitäre Katastrophenhilfe ist das Auswärtige
Amt. Joseph Fischer, sehr darauf bedacht, die Bundeswehr als Teil
einer Weltpolizei zu profilieren, hat für Feuerwehreinsätze
weniger übrig. Das Problem, Transportflugzeuge für Hubschrauber
zu finden, wurde nicht kollegial und rasch unter befreundeten Staaten
gelöst.
Die Globalisierung, der auf losgelöste Teile
fokussierte, reduktionistische Blick der westlichen Wissenschaft
und die Technik nähren partiell den Wahn, Herr über die
Natur zu sein. Aber das Wissen um die wahrscheinliche Rache des
archaischen Widerparts kann nicht unterdrückt werden. Katastrophen
wie jetzt in Mosambik nehmen an Zahl und Stärke zu. Mehrere
Faktoren sind Ursache für Klimaveränderungen. Den Ausbruch
des Pinatubo kann der Mensch nicht verhindern.
Kein Gedanke daran, dass jeder Mensch dasselbe Recht
auf Naturnutzung hat. Sondern diejenigen, die pro Kopf am wenigsten
verbrauchen, werden zur drohenden Ursache erklärt. Diesmal
geht es nicht um "Lebensraum", sondern um Verbrauchsrechte,
aber der Anspruch ist gleich: Eine "Rasse" oder eine "Zivilisation"
setzt sich absolut. Während die Opfer der wesentlich vom Norden
verursachten Klimaveränderungen in Baumwipfeln ums Überleben
kämpfen, schaffen das Worldwatch Institute und die Deutsche
Stiftung Weltbevölkerung neue Feindbilder: Absolute Zahlen
verschweigend, manipulieren sie öffentliche Meinung mit Steigerungsraten
und entwerfen das Drohszenario, das Bevölkerungswachstum in
Entwicklungsländern führe zu einer Energienutzung, die
den Globus gefährde. Wer in "Das Boot ist voll"-Kategorien
denkt, müsste aufgrund des Pro-Kopf-Verbrauchs bevölkerungspolitische
Maßnahmen für den Norden fordern. An der dringenden Notwendigkeit,
eine solare Weltwirtschaft für alle zu etablieren, würde
aber auch das nicht vorbeiführen.
Humanitas-Groteske zwischen Tragödie und Komödie
Nicht nur Xenophobisten, sondern auch Philolobbyisten
tragen ihren Beitrag dazu bei, das Phänomen des Fremden zu
fördern als Symptom der Moralpauke im Rampenlicht der Selbstinszenierung.
Ob als Menetekel für die Alarmglocken gegen die Invasion der
Parias oder als traditioneller Malocher, willkommen ist er, solange
er sich den Gesetzen der Entfremdung nicht widersetzt.
Den Fremden muß man nicht unbedingt hassen,
man soll ihn aber auch nicht lieben. Sonst ist er nicht mehr fremd,
nicht mehr gefährlich, vor allem aber nicht mehr verwertbar
und hat keinen Wert, konsumiert zu werden. Fremd ist der Fremde
nur dort, wo er sich unter Nichtfremden befindet.
Ohne den Fremden gibt es weniger Markterreger, mehr
Erwerbslose - abgesehen von seinem Nutzeffekt im Nazireich und Erhards
Wirtschaftswunderland. Ohne den Fremden hätte es die eurokontinentale
Erregungswelle gegen den aparten Jörg Haider vom Austria-Plateau
nicht gegeben, der nichts anderes tat, als aus dem EU-Repertoire
ein Einwanderungskontrollgesetz kopieren zu wollen. Aparthaider
wird er deswegen genannt, und Apartheid ist, wenn eine Nation über
bestimmte Bevölkerungsteile in ihrem Territorium das Fremdenrecht
verhängt - welches Recht das dem Fremden auch immer einräumen
mag.
Den Tadel verdiente der Alpen-Tribun auf der abendländischen
Kultur-Tribüne nicht wegen seiner Schwatzblasen gegen die Überfremdung
des Hochebenen-Deutschtums durch die wilden Barbaren, sondern wegen
seiner gelegentlichen Spucke auf die neoliberale Wertkette mit verwirrendem
Hinundher, wobei die Substanz seines Staatskunstverständnisses
im Neoliberalismus reinsten Wassers liegt.
Jedenfalls suhlen manche Plattformen der pluralistischen
Einheitspartei mit dem Sand. Ein virtueller Faschismus droht, lautet
die Botschaft aus dem Marionettenbunker der Börsenoligarchie.
Verführerisch kommt sie an bei linken Demo-Strategen und Memo-Stars,
die bürgerliche Demokratie zu retten - mit Ethno-Erotik, Exoten-Ästhetik,
Folklore-Foren, Pascha-Passagen, Anti-Patriarchen-Parties, Kopftuch-Kopien...
Mit Konfetti und Pailetten wird der Fremde überschüttet,
in Mehmet-Aliens verwandelt und freigegeben für den Deportationsvollzug.
Und er findet meist dort statt, wo die Apartheid endet, auf der
Luftlinie.
Den Präpotenten der völkischen Homogenität
und hegemonialen Intensität geht es nicht um den fremdenfreien
Volkssaat, sondern um die Exekution der Durchrassung, durch rechtsstaatliche
Mittel mit einer neuen Qualität natürlich: mit der Deutschprüfung
in den Einbürgerungsbehörden.
Erhalten muß bleiben auf jedem Fall das Fremdenreservat.
Auch für die Pflege der Unisono-Volksmeinung. Zwei Drittel
der Jugend im Osten empfindet den Ausländeranteil zu hoch,
publizierte das Shell-Studie-Büro "Jugend 2000" vom
Frühjahr, 60 Prozent im Westen. Zu hoch wird dieser Anteil
auch bleiben, solange der Gebrauch der strukturellen Apartheid von
der Anstalt der Selbstzensur attackiert und erledigt werden kann.
Der Spiralbohrer der Meinungsproduktion dreht sich
ohne Widerstand. Die Gelehrtensozietät wartet und überwacht
den Roboter, der ihn bedient. Die Volkstribunen bewundern die Ergebnisse,
die die Medien verbreiten, der Gesamtstammtisch des Stammeswesens
konsumiert sie. Die Xenophilie-Szene auf dem Nischenmarkt der Erregungsprojekte
für das friedliche Zusammenleben feiert ein Fest nach dem anderen,
appelliert an Toleranzmoral und mokiert sich über den Aparthaider.
Als einen inkarnierten Avatar stellen sich ihn, den
Alpen-Alben, seine Widerstreiter vor, als einen Präpotenten,
der sein Image aus Erwartungen und Projektionen komponiert. Die
latente "Unheimlichkeit" des Avatars ergebe sich, meinen
sie, aus der Unmöglichkeit, ihn mit "Eigentlichkeits"-
oder Identitäts-Fragen zu konfrontieren. Gewiß, ein Avatar
kann nicht wissen, wer er ist. Aber wer konstruiert die Gemeinde,
die ihm folgt?
Der Aparthaider ziehe ein Laserschwert aus einem Star
Wars-Computerspiel, meinen wiederum andere Erzähler, wenn er
zum Duell herausgefordert wird, wobei es darauf ankomme, ob Laserschwerter
lediglich aufgemotzte Neonröhren sind oder nur als gefährliche
Waffen erscheinen.
Es ist nur ein Spiel, meint dagegen der Fremde, und
jemand muß die Anti-Rolle im abendländischen Kulturalismus-Zwist
übernehmen, auch die Rolle dessen letzten Mohikaners zugleich,
eines reinblütigen Almrosen-Patrioten. Haider ist, wie man
ihn haben will - in den philofemisitischen Schützengräben
auch Führer eines homoerotischen Männerbunds, der bewußt
mit homophilen Codes arbeitet, ohne sich als homosexuell bekennen
zu müssen.
Ein Aparthaider, der als Kärnten-Fürst die
Sprache seiner slowenischen Untertanen lernt? Völlig anders
als - beispielsweise - bei den bajuranischen Weißwurst-Patrioten,
die sich mit ihrer Leistung brüsten, den Pizza-Döner-Kosmopolitismus
zu dulden, vorausgesetzt jedoch, daß er keine "Parallelgesellschaften"
stützt und in deutscher Zunge aufgeht.
Besonders gern hat man den Fremden, weiß der
Fremde, im Parkett vor den gutbürgerlichen Rassismus-Podien.
Hier lernt er am einfachsten, daß die Xenophobie ein eingeschleustes
Fremdwort ist, die es gilt, scharf zu beobachten, streng zu kontrollieren
und im Ernstfall entschlossen anzugreifen. Verfassungspatriotisch
freilich. Und freiheitlich, denn es geht darum, den Fremden zu manipulieren,
ihn als Heiducken, als freiwilligen Söldner nämlich, zu
rekrutieren - zur Verteidigung der nordischen Gutsherrenburg gegen
die Invasion der globalen Leibeigenenheere, vor allem gegen den
Oriental-Patriarchalismus.
Der Fremden-Bildwerk besitzt einen besonderen Reiz-Platz
in der Ideologie-Galerie des deutschen Kuluralismus - als standfestes
Modell für das Wettmalen jenes Phantombildes, das die "innere
Sicherheit" gefährdet sowie "das erneuerte Bündnis
von Mob und Elite" vorantreibt, auf das Uli Krug im Antideutschen-Organ
"BAHAMAS" 31/2000 aufmerksam macht:
Auf den ersten Blick jedoch scheint zumindest ein
großer Teil der Alt-Bundesbürger sich von diesem, autoritären
Traditionsmodell beträchtlich entfernt zu haben. Der demokratische
Musterknabe Alt-BRD (d.h. abzüglich seines “rückständigen”
Anhängsels) kann mittlerweile auf Vorwürfe, besonders
autoritär, besonders nationalistisch oder besonders rassistisch
(deutsch eben) zu sein, mit dem ausgestreckten Finger (und das mit
einer gewissen Vorliebe) nach Frankreich zeigen. Dort sitzen die
wahren Etatisten mit ihrem elitären Bildungssystem, ihrem Anti-Amerikanismus,
ihrer “Front National”. Das, was sozialdemokratische
Historiker einmal als integralen Bestandteil des “deutschen
Sonderwegs” bezeichneten, sozusagen die hardware von Antisemitismus
und Rassenwahn, ein “gestörtes Verhältnis”
zur Marktwirtschaft und zur Spekulation, mit einem Wort zum Finanzkapital,
und ein übermäßiger Etatismus, ein Versessen-Sein
auf Regulierung – wird das heute nicht in größerem
Maße links des Rheines praktiziert? Als ob da nichts gewesen
wäre mit dem historisch einmaligen Versuch, sich des “jüdischen
Prinzips”, der Spekulation, der Zinsknechtschaft, des Gewinns
ohne Mühe und Rücksicht aufs Gemeinwohl zu entledigen,
jagt eine Privatisierungswelle die andere und hat die Volksaktie
(Telekom) den Volkswagen als nationales Symbol ersetzt. ...
Der Faschismus als populistische Bewegung kann auch
im anti-etatistischen Gewand auftauchen, nicht um die Herrschaft
selber in Frage zu stellen, sondern um ihre institutionelle Mäßigung
abzuschütteln. ...
Haiders Agitation – wie die der so ungleich
respektierlicheren Politwissenschaftler – gegen den “Parteienstaat”
kombiniert und variiert zwei Grundkomponenten: Die volkkstümliche
Konkretiesierung von Herrschaft, das Abstellen auf ihre Unmittelbarkeit
im Gegensatz zur repräsentativen Demokratie und den Rückzug
des paternalistischen Interventionsstaates. Basisdemokratisch im
Sinne von “Volkes Stimme”, “populistisch”,
war der Faschismus von jeher. Der Verzicht auf die Staatskonjunktur
aber widerspricht dem Bild des klassischen Faschismus. Haiders Erfolg
liegt gerade darin begründet, daß es ihm gelingt, den
Haß auf das Abstrakte zu nutzen, gleichzeitig aber den Faschismus
von seinem sozialdemokratischen Vexierbild zu lösen, den militarisierten
Interventionsstaat durch den militanten “schlanken Staat”
zu ersetzen. ...
Die klassische Projektionsfläche “Jude”
ist deswegen in keiner Weise vergessen worden; dennoch scheint das
modernisierte, auf den Abgabenstaat konzentrierte Ressentiment anders
justiert zu sein als sein historischer Vorläufer: Nämlich
auf die “übermäßige” Konsumtion der
vom Staat jenseits des a) unbedingt Lebensnotwendigen und der b)
“richtigen” Volkszugehörigkeit subventionierten
Klientel: Ausländer, Künstler, Parteien (hier tauchen
dann auch die vom Staat “gehätschelten” Juden wieder
auf). So funktioniert die zeitgemäße, negative Bestimmung
des Völkischen (“Wer ruiniert den Steuerzahler?”),
gegen die “multikulturelle Überfremdung, gegen die Bonzen
in Bürokratie und Parteienkartell, gegen die freischwebenden
Intellektuellen” (Zeit 8/2000). Besonders perfide formuliert
es die “FAZ”: “Die Protestaktionen auf den Straßen
Wiens geben Marx recht, der das gesellschaftliche Bewußtsein
auf das gesellschaftliche Sein zurückführte: Staatskünstler
bangen um Subventionen, Sozialingenieure um staatliche Aufträge,
Projektbeauftragte um bereits genehmigte Projekte, und das alles
im Zeichen des Kampfes gegen den Faschismus.” (FAZ, 12.2.2000)
...
Vorbei die Zeiten, als die Leitartikel die Quintessenz
der Sozial- bzw. Staatsbürgerkunde echoten und sowohl betulich
auf den Vorbehalt des GG gegen direkte Demokratie hinwiesen als
auch auf der Formalisierung des staatlichen Handelns bestanden;
das Plebiszit fordern nun auch die Sprachrohre von Bildungsbürgertum
und BDI. Der geforderte Kein-Parteien-Staat ist in Wahrheit die
Reprise des Ein-Parteien-Staates des Nationalsozialismus, mit all
seinen informellen, plebiszitären Strukturen, die Staat und
Volk tatsächlich werden ließen – zum Gemein-Wesen.
"Was allein macht die Würde des Menschen
aus?" fragt sich Eberhard Straub in "Frankfurter Allgemeine
Zeitung" vom 18. März 2000 und schmiedet eine Wertekette,
mit deren Hilfe er versucht, "die Fremdherrschaft der Werte"
zu markieren:
Europa ist ein ökonomischer Großraum. Eine
Europa-Idee, von der unmittelbar nach dem Kriege viel die Rede war,
hat sich verflüchtigt. Damals gab es noch Erinnerungen an das
Abendland, sogar an das christliche Abendland. Aber sie wurden alsbald
der Lächerlichkeit preisgegeben und verdunsteten allmählich.
Mehr belästigt als belastet von den vielen umschatteten Vergangenheiten
retteten sich die Europäer in die angeblich unproblematische
Wirtschaft und wirtschaftliche Zusammenarbeit, um eine schönere
Zukunft zu erreichen, in der das Leben wieder lebenswert ist. Das
hieß, Werte zu schaffen, die den Lebenswert erhöhen.
Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, wenn gerade Deutsche
mit Inbrunst Europa als "Wertegemeinschaft" beschwören.
Das entspricht vollkommen den ökonomischen Erwartungen, Werte
zu schützen, zu sammeln, sie einzusetzen, mit ihnen zu arbeiten,
gar zu wuchern. Schließlich sind Werte wertvoll. Wertverluste
können das Leben um den Lohn der unermüdlichen Wertarbeit
bringen. Doch die ergeben sich nur, sobald Werte nachlässigerweise
falsch bewertet wurden. Jeder sollte seinen Wert, seinen Preis kennen,
um nicht unter Wert gehandelt, behandelt, gekauft oder verkauft
zu werden. Wer seinen Selbstwert gar nicht kennt, soll sich nicht
beklagen, wenn auf ihn kein Wett mehr gelegt wird. Den Marktwert
der Werte muss jeder bedenken, um nicht auf falsche Werte zu setzen
und seinen Kurs abzuwerten oder gar vollständig zu entwerten.
...
Werden Menschenrechte, die Freiheitsrechte sind, zu
Werten, dann unterliegt die Freiheit des Menschen, die gottgegeben,
also unveräußerlich ist, wie der Christ vermuten darf
willkürlichen inhaltlichen Übereinkünften beliebiger
Wertsetzer. Denn Werte sind beliebig. Die Freiheit des Menschen
ist nicht beliebig. Deswegen schützt sie der Staat, nur befugt,
die ungeheure Freiheit des Einzelnen mit der nicht minder unermesslichen
Freiheit des anderen verträglich zu machen. Wäre die Freiheit
des Menschen, sein Menschenrecht, ein Wert, dann ließe sich
dieser, wie jeder Wert, umwerten, abwerten, entwerten, gegebenenfalls
aufwerten, wie die Konjunktur der Werte es erlaubt. Die Freiheit
würde zum Opfer der verwertenden Wertekonkurrenz. Werte gelten
oder verlieren ihre Gültigkeit, wenn derjenige, der sie geltend
machen will, vor anderen zurückweichen muss, der erfolgreich
seinen Werten Geltung verschafft. Der höhere Wert will, ganz
verständlich, den minderen ausschalten, ihn um seine Wirksamkeit
bringen. Es sind aber jedes Mal Menschen, die darüber befinden,
was wertvoll oder minderwertig ist. "Wer ihre (der Werte) Geltung
behauptet, muß sie geltend machen. Wer sagt, daß sie
gelten, ohne daß ein Mensch sie geltend macht, will betrügen"
(Carl Schmitt). Im Namen der Werte kann der Mensch unter dem Druck
der Wertsetzer ebendas verlieren, was seine Würde ausmacht:
die Freiheit. ...
Werte sind nicht neutral, weil interessierte Menschen,
Gruppen, Parteien im Wettbewerb untereinander ihren Werten Anerkennung
verschaffen wollen. Sie bestimmen darüber, was ein Wert oder
ein Unwert ist. Darüber kann ein Mensch unter die Räder
kommen, das kann Klassen und Rassen um ihr Leben bringen. Gerade
das soll in einer Wertegemeinschaft verhindert werden. Legt sie
aber die Werte fest und verpflichtet die freien Menschen auf ihre
Werte und deren Inhalte, dann begibt sie sich unweigerlich auf den
abschüssigen Pfad, der unter Umständen zur Tyrannei der
Werte führt. Einer Tyrannei, die, wie das zwanzigste Jahrhundert
drastisch bestätigte, die grausamste Willkürherrschaft
erlaubt, weil sie sich ein Urteil auch noch über den Lebenswert
des Einzelnen anmaßt und lebensunwertes Leben ausmerzt. Der
Mensch, nur noch als sachlicher Wert betrachtet, hat seine Würde
eingebüßt. Wenn es nur noch Werte gibt, erübrigt
sich die Würde, dann begegnen sich nur Wertvolle und Wertlose,
Werthaltige und Wertverwahrloste, oder sie prallen aufeinander.
Das sind die Konsequenzen humaner Wertsetzung. Denn jeder Wert hat
- wenn er einmal die Macht gewonnen hat über eine Person die
Tendenz, sich zum alleinigen Tyrannen des ganzen menschlichen Ethos
aufzuwerfen (Nicolai Hartmann). Wer von der Wertegemeinschaft spricht,
möchte glauben machen, Werte würden von sich aus herrschen,
sie stünden über der Irrtumsanfälligkeit des Einzelnen.
Darin liegt der Irrtum, Betrug und Selbstbetrug aller Wertsetzer
und Wertentwerter, was ein und dasselbe ist.
Insofern gewinnt kein Recht und keine Freiheit höhere
Sicherheit, wird sie zum Wert erhoben. Das gilt auch für die
Demokratie. Sie ist eine Organisationsform. Das genügt vollständig.
Eine Organisationsform sagt nichts aus über Werte und Inhalte.
Sie soll freie und öffentliche Diskussion im Gesetzgebungsstaat
mit seinen Mechanismen ermöglichen. Worüber diskutiert
wird und welche Inhalte ein Gesetz festlegt, das bleibt den freien
Bürgern überlassen. Wird die Demokratie zu einem Wert,
empfängt sie darüber keine vermehrte Lebhaftigkeit oder
stärkere Überzeugungskraft. Sie verwickelt sich nur ihrerseits
in die Spannungen, die von Wertorientierungen ausgehen. Im Namen
der Demokratie können Wohlfahrtsausschüsse, in denen die
Wertbewussten sitzen, über all die herrschen, die noch nicht
sämtliche demokratischen Werte "angenommen" haben.
Die besseren Demokraten schützen die unvollkommenen gleichsam
vor sich selber, indem sie diese unzulänglichen Bürger
zu ihrem Heil vor den Folgen ihrer wertlosen "Unterentwicklung"
bewahren. Aus der Demokratie kann unter solchen Voraussetzungen
eine Erziehungsdiktatur werden, wie sie ja nicht nur die Jakobiner
der Französischen Revolution für sich in Anspruch nahmen.
...
Die Demokratie als Wert bildet keinen zum aufrechten
Demokraten. Der Einzelne lernt darüber nur die Demokratie zu
bewerten, was ihn vielleicht wertebewusst macht, jedoch nicht zum
Demokraten umwandeln muss. Französische Revolutionäre
hofften, dass die Tugend in der Republik herrschen werde. Wer die
Tugenden lebt, wird als durch Tugend Freier ebenden Freistaat mächtig
beleben, mit freiem Leben erfüllen. Dann hängt alles auf
Gedeih und Verderb vom Einzelnen ab und von seiner Bereitschaft,
sich den Lastern zu verschließen. Wie oft wiederholt wird,
beruht die Demokratie auf Grundlagen, die sie nicht selber geschaffen
hat und die sie aus sich heraus gar nicht zu erhalten vermag. Zum
"wehrhaften Demokraten", wie Deutsche den guten Demokraten
nennen, wird man deshalb über Einübung seiner sittlichen
Freiheit. Dazu verhelfen die Lehren der Alten, die Religion, neuere
und frühere Philosophen, Dichter und Künstler, kurzum
all jene, die ihren würdigsten Beruf darin erkannten, edlen
Seelen vorzufühlen und zu deren Veredelung beizutragen.
Es ist die Bildung zu allgemeiner Menschlichkeit,
die Humanität, also Freiheit, verheißt. Aber gerade ihr
vertrauen jene wenig, die Freiheit und Menschenrechte zu Werten
erheben. Ihr Wert ist nämlich umstritten, vielen gilt er als
fragwürdig. Klassisch-historische Bildung hat allerdings nicht
mit Werten zu tun. Sie vermittelt vielmehr Kriterien zur Urteilsbildung,
der notwendigen Bedingung individueller Freiheit. Denn diese äußert
sich in Handlungen, die auf eigenem Urteil beruhen. Oder auch nicht,
da der Mensch die Freiheit besitzt, auf Handlungen zu verzichten
oder seiner eigenen Einsicht entgegen zu handeln. Es gäbe weder
Tragödien noch Komödien, verhielten sich die Einzelnen
anders. Sein Dilemma bleibt allemal, sich gar nicht für das
Gute entscheiden zu können, wenn ihm nicht die Wahl für
das Böse bleibt. Sonst wäre sein Tun kein Akt der Freiheit,
sondern das Ergebnis höheren Zwanges unter dem Druck flatterhafter
Wertsetzer. Die klassische Literatur verdeutlicht, wie einer als
"valiente", tapfer beherzt, mutig lebt oder es unterlässt,
so zu leben. Die spanische Ableitung von valor, Wert, wie die italienische
"valoroso", verweisen auf den tätigen Menschen als
freien Bewerter der Lebensmächte. Sie erinnern an dessen Würde,
mehr zu sein als ein funktionsgerechtes Elementarteilchen im übergeordneten
Wertesystem, welcher Art auch immer.
Die Beschwörung einer "Wertegemeinschaft"
verrät mehr Unsicherheit als Selbstgewissheit. All unsere politischen
Begriffe sind historische Begriffe. Sie wurden gebraucht und verbraucht.
Während des langen Spiels, Begriffe zu versenken, verlor sich
deren Überzeugungskraft. Sie büßten ihre Substanz
ein. Sie verkümmerten zu bloßen Redensarten, zu Worten,
denen die angeblich hinter ihnen liegenden Werte plötzlich
wieder zu verpflichtender Kraft verhelfen sollen. Werte werden zum
Ersatz für die verlorene Metaphysik. Über Werte soll eine
ganz innerweltliche, praktische Organisation von Staat und Gesellschaft
Weihen, Heiligkeit empfangen. Bezeichnenderweise greifen die Wertfrohen
auf ein in Deutschland sonst nicht mehr geschätztes Wort zurück:
auf die Gemeinschaft. ...
Wir haben lange gelernt, dass Gesellschaft der Raum
der diskutierenden Vernunft ist, dass Gemeinschaft undemokratische
Irrationalität bedeutet, wie sie sich in der Blutsgemeinschaft
oder Volksgemeinschaft rabiat auslebte. Auf einmal wird Gemeinschaft
zum Wert, sogar als Wertegemeinschaft zu einem Höchstwert.
Sie gibt sich eine Feierlichkeit wie Communio, die Gemeinschaft
der Gläubigen, wie die Kirche. Demokratische Werte sollen plötzlich
wie sogenannte Glaubenswerte gelten, ja geglaubt werden. Wer nicht
fest im Glauben steht oder nur den Verdacht auf sich zieht, ein
Glaubensschwacher zu sein, begibt sich in Gefahr, wie ein Heterodoxer,
wie ein Häretiker behandelt zu werden. Die Reinheit des Glaubens
muss dann vor jeder Bedrohung durch Unreine gesichert werden. Das
sanctum officium, die Inquisition, wiedereinzuführen. das wäre
die letzte Konsequenz einer wehrhaften Communio all derer, die sich
im Namen der Werte zu demokratischem Dienst lobend und preisend
versammeln. Das war allerdings nicht das Ziel mannigfacher Aufklärungen,
die Staat und Gesellschaft als ein Reich der weltlichen Selbstbestimmung
von ihr widersprechenden Einflüssen frei halten wollten. Es
ging immer nur darum, dem freien Menschen es selbst zu überlassen,
seinen Freiheitsraum zu hegen und seiner Verantwortung zu überlassen.
Eine Wertegemeinschaft als Glaubensgemeinschaft wendet
sich gegen die Errungenschaften aller Freiheitsbewegungen der europäischen
Geschichte. Sie versucht deren Siege rückgängig zu machen.
Sie ist daher Ausdruck reaktionärer Sehnsüchte.
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